Gebremster Wumms: Steuersenkung verpufft in großen Teilen des Handels Von Erich Reimann, dpa
Die Mehrwertsteuersenkung sollte die Kauflust der Verbraucher
anheizen. Doch nach einem Monat spürt nur ein kleiner Teil der
Händler Rückenwind durch das milliardenschwere Steuergeschenk an die
Verbraucher.
Düsseldorf (dpa) - Der große Wumms ist ausgeblieben: Einen Monat nach
der Senkung der Mehrwertsteuer überwiegen im deutschen Einzelhandel
Zweifel am Nutzen des milliardenschweren Steuergeschenks an die
Verbraucher. Bei einer aktuellen Umfrage des Handelsverbands
Deutschland (HDE) bewerteten nur 13 Prozent der Unternehmen abseits
des Lebensmittelhandels die Steuersenkung als eine wirksame Hilfe zur
Belebung des Konsums. Doch gibt es deutliche Unterschiede zwischen
den Branchen, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab.
«Der Wumms, den man von der Mehrwertsteuersenkung erwartet hat, ist
bei uns im Modehandel nicht angekommen», berichtete der
Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Textil (BTE), Rolf Pangels.
Den Begriff hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) Anfang Juni
geprägt: «Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen», sagte er nach
der Einigung der Koalition auf ein milliardenschweres
Konjunkturpaket.
Laut Pangels geht aber die Steuersenkung von 3 Prozentpunkten bei den
30, 40 oder 50 Prozent Rabatt, die im Modehandel zu dieser Jahreszeit
üblich seien, einfach unter. «Im Grunde verpufft das bei uns», sagte
der Branchenkenner. Hinzu komme, dass die Steuersenkung - wenn
überhaupt - bei teuren Produkten wie edlen Anzügen oder eleganten
Kleidern einen nennenswerten Vorteil für den Verbraucher bringe. Doch
gerade die würden in Corona-Zeiten wegen des Ausfalls vieler
Veranstaltungen und des Trends zum Homeoffice kaum gekauft.
Positiver fällt das Urteil über die Konjunkturmaßnahme in der
Möbelindustrie aus. «Bei Möbeln spielt die Umsatzsteuer eine Rolle.
Wenn sie bei einer Küche ein paar Hundert Euro sparen können, macht
sich das bemerkbar und bringt den einen oder anderen dazu,
zuzugreifen», sagt der Geschäftsführer des Verbands der deutschen
Möbelindustrie (VDM), Jan Kurth. Bereits seit Ankündigung der
Umsatzsteuersenkung Mitte Juni, habe sich der Auftragseingang für
Produkte mit Lieferzeiten von einigen Monaten kräftig erhöht. Und
auch bei Mitnahmemöbeln sei im Juli «eine ganz rege Nachfrage» zu
verzeichnen. «Das führen wir auch auf die Mehrwertsteuersenkung
zurück», sagte Kurth. Allerdings profitiere die Branche auch davon,
dass die Verbraucher es sich in der Corona-Krise zu Hause gemütlich
machen wollten und dass dafür auch häufig genug Geld vorhanden sei,
da so mancher Urlaub ausgefallen sei.
Bei Elektronik- und Hausgerätehändlern überwiegt dagegen die Skepsis,
was die anhaltenden Effekte der Mehrwertsteuersenkung angeht. «Wir
haben noch keine gesicherten Informationen aus der Marktforschung,
dass sich dadurch irgendetwas bewegt hat», betont der
stellvertretende Geschäftsführer des Handelsverbandes Technik (BVT),
Joachim Dünkelmann. Im höherpreisigen Segment - bei großen
Fernsehern, teueren Kühlschränken oder neuen Computern - könne die
Steuersenkung zwar durchaus Kaufimpulse geben. Doch werde es sich in
vielen Fällen wohl nur um vorgezogenen Einkäufe handeln, die sonst
etwas später erfolgt wären. Wenn es um Ersatz für die kaputte
Kaffeemaschine, ein neues Kabel oder andere kleinere Einkäufe gehe,
werde die Steuersenkung dagegen keinen Effekt für den Handel haben.
Dünkelmanns Fazit: «Ob das der Branche etwas bringt, darf bezweifelt
werden.»
Der Lebensmittelhandel brauchte eigentlich keinen zusätzlichen
Rückenwind. Schließlich hat die Branche wie kaum eine andere von der
Corona-Krise profitiert. Dennoch hatte die Mehrwertsteuersenkung
gerade hier bisher wohl die größten Auswirkungen. Sie hat zwar keinen
zusätzlichen Nachfrageschub in Supermärkten und bei Discountern
bewirkt, aber einen Preiskampf ausgelöst, wie es ihn lange nicht mehr
gegeben hat.
Denn die Discounter Aldi und Lidl gaben die Mehrwertsteuersenkung
nicht nur weiter. Um ihr Preisimage zu stärken, legten sie auch noch
ein kräftiges Schüppchen drauf. So wartete Lidl nicht bis zum
offiziellen Startdatum am 1. Juli, sondern zog die Steuersenkung auf
eigene Kosten schon mehr als eine Woche vor. Dann konterte Aldi und
senkte die Lebensmittelpreise nicht wie vom Gesetzgeber beim
ermäßigten Steuersatz vorgegeben nur um zwei, sondern sogar um drei
Prozentpunkte. Was Lidl kaum eine andere Wahl ließ, als zwei Wochen
später nachzuziehen.
Die Mehrwertsteuersenkung sei hier aber nur der Auslöser, nicht der
tiefere Grund des Preiskampfs, betonte Robert Kecskes von der
Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). «Die Händler rücken den Pre
is
wieder stärker in den Vordergrund, weil sie damit rechnen, dass die
Verbraucher aufgrund der wirtschaftlichen Verwerfungen beim Einkauf
schon bald wieder stärker auf den Cent achten.»
Ist die Mehrwertsteuersenkung also ein Fehler gewesen? Nicht
unbedingt, glauben die Konjunkturexperten der GfK. Nach der jüngsten
Konsumklima-Studie der Marktforscher leistet die
Mehrwertsteuersenkung durchaus einen Beitrag zur raschen Erholung der
Konsumstimmung in Deutschland. «Die Verbraucher beabsichtigen
offenbar, geplante größere Anschaffungen vorzuziehen, was dem Konsum
in diesem Jahr hilft», fasste der GfK-Konsumexperte Rolf Bürkl deren
Ergebnis zusammen. Doch hat die Sache einen Haken. «Die Händler und
Hersteller müssen sich darauf einstellen, dass sich die Konsumneigung
wieder zurückbilden könnte, wenn ab Januar 2021 der ursprüngliche
Mehrwertsteuersatz gilt.»
Erst am Montag erteilte Olaf Scholz im Südwestrundfunk einer
möglichen Verlängerung wieder eine Absage. «Wichtig ist, dass man am
Anfang sagt, wann Schluss ist und nicht zwischendurch anfängt über
Verlängerungen zu diskutieren.» Dann verlängerten sich auch
Entscheidungsprozesse. Die Konjunktur-Effekte, die die befristete
Mehrwertsteuersenkung ausgelöst habe, brauche die Wirtschaft aber
jetzt.
Dass Mehrwertsteuersenkungen einen solchen durchschlagenden Effekt
haben können, erlebte erst vor wenigen Monaten die Deutsche Bahn.
Nachdem die Mehrwertsteuer auf Bahntickets im Fernverkehr zum
Jahreswechsel von 19 auf 7 Prozent gesenkt worden war, stieg die Zahl
der Fahrgäste im ersten Monat des neuen Jahres um gut eine Million
oder mehr als 10 Prozent. Den von der Corona-Krise wenig später
ausgelösten Einbruch der Fahrgastzahlen konnten allerdings auch die
neuen Niedrigpreise nicht verhindern.
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