Der Banker, die Lebenslüge und der «furchtbare Strumpf» Von Christina Peters, dpa
Mit einem Sparstrumpf wird einer alten Frau der Schädel zertrümmert.
Die Ermittler in Österreich vermuten einen Raubmord. Dann wird ihr
Vermögensberater von einen Lastwagen erfasst. Nun endet der
Mordprozess um einen Banker, der 20 Jahre mit einem Geheimnis lebte.
Wiener Neustadt (dpa) - Fünf Stunden bevor seine älteste Kundin
stirbt, mietet der Finanzberater Peter I. in Wien einen Geländewagen.
«Bei der Begehung einer Tat sollte man nicht mit dem eigenen Auto
hinfahren», erklärt er fast ein Jahr später vor Gericht. Angeklagt
wegen Mordes ist er selbst. Der Banker beschreibt, wie er über Monate
mit dem Gedanken spielte, die 86-Jährige mit seiner Socke voller
Münzen zu erschlagen oder mit Frischhaltefolie zu ersticken. Der
Mietwagen: «Das war eine weitere Facette, die ich überlegt hatte.»
Wenn das Landgericht Wiener Neustadt an diesem Dienstag (28.7.) ein
Urteil spricht, droht dem 62-Jährigen lebenslange Haft. Dass er die
alte Frau im Herbst 2019 aus Angst um seine Reputation mit dem
Sparstrumpf, der Folie und schließlich den bloßen Händen umgebracht
haben soll, gesteht er. Einen kaltblütigen Plan weist seine
Verteidigerin zu Prozessbeginn am vergangenen Dienstag zurück. 20
Jahre angestauter Schuldgefühle hätten sich im Affekt entladen.
«Damit hat vor Jahrzehnten ein Unglück seinen Lauf genommen.»
Der fatale Fehler beginnt mit einem Aktiencrash. Seit den späten
1980ern arbeitet Peter I. nach einem Jurastudium in der Bankbranche.
Ebenso lange verwaltet er das Vermögen von Emma S., die er noch als
junger Jurist in Niederösterreich kennengelernt hat. Rund 400 000
Euro Erbe aus einem Bauunternehmen legt er für sie etwa in US-Aktien
an. Bald sind die Depots 700 000 Euro wert.
Beim ersten kleinen Verlust habe die Kundin wütend reagiert, sagt der
Banker. Ende der 90er kostet sie ein Kursabfall 140 000 Euro. «Das
habe ich ihr dann verschwiegen.» Er habe gehofft, das Geld wachse
wieder. «Der Anfang dieser Lebenslüge», sagt seine Anwältin. «Ein
e
ständige Last, die er in diesen Jahrzehnten mit sich getragen hat.»
In den nächsten zwei Jahrzehnten steigt Peter I. zum Topmanager und
Gerichtsgutachter auf. Doch die Lüge, von der er niemandem erzählt,
sitzt dem Familienvater im Nacken. Er fährt Emma S. persönlich in
Filialen, um ihre Geldgeschäfte zu regeln. Die Kundin entnimmt, so
sagt er, mehrere Sparbücher, kauft eine Immobilie - das Geld
schmilzt. Mit falschen Zahlen gaukelt er ihr bis zum Schluss vor, ihr
Gesamtvermögen läge bei 700 000 Euro, dabei soll eher ein Zehntel
übrig geblieben sein. 2017 seien ihre Konten de facto leer gewesen,
zitiert das Gericht einen Zeugen.
Als Emma S. ihr Vermögen dann bei ihrer Hausbank zusammenziehen will,
ist das Spiel aus. Davon abbringen kann Peter I. sie nicht - nur bis
September 2019 vertrösten. Er habe gehofft, dass sie einfach sterbe,
sagt er. Und auch einen Suizid erwogen. «Das war eine
Denkmöglichkeit.» Und dann gab es eine dritte Option.
Vielleicht sei ihm die Idee beim Lesen gekommen, sagt der Banker. Er
füllt eine seiner Markensocken mit Münzen, ein Kilo wiegt der
Sparstrumpf. Dreimal sei er in dem Sommer zu Beratungsgesprächen ins
Haus der Rentnerin gefahren. «Den furchtbaren Strumpf habe ich beim
ersten Mal schon mitgehabt.» Er habe erwogen, sie erst mit dem
Strumpf zu attackieren, dann ihren Kopf gegen die Kellertreppe zu
schlagen und einen Haushaltsunfall vorzutäuschen: «Das wäre eine
denkmögliche Variante gewesen.»
Drei Tage bevor die Lüge bei einem Banktermin wohl aufgeflogen wäre,
mietet Peter I. schließlich das Auto. Was dann passiert, beschreiben
er und die Anklage so: Am 16. September fährt er von Wien in sein
Seehaus, zieht sich um, schreibt seiner Frau eine SMS und lässt sein
Smartphone zurück. Abends parkt er vor dem Haus von Emma S. und nimmt
sein Kennzeichen ab. Er klingelt. Ob er die Toilette benutzen könne?
Dann hätten sie kurz geplaudert. Und er habe der schockierten Frau
schließlich alles gestanden.
Peter I. berichtet von einem Streit, dann habe ein Nachbar geklopft.
Der Nachbar sagt aus, er habe sich gemeldet, als er eigenartiges
Stöhnen gehört habe. Als unstrittig gilt, dass der Bankberater im
Flur mit dem Sparstrumpf ausholt. Zehn Schläge zählt der
Gerichtsmediziner am Kopf der Frau. Er habe ihr die Frischhaltefolie
ins Gesicht gedrückt, dann Mund und Nase mit den Händen zugehalten.
«Es war dann völlige Stille», so Peter I. «Da war es mir klar, jetz
t
ist es vorbei.»
Wenige Stunden später läuft er auf eine nahe Autobahn, wohl um sich
umzubringen. Ein Lastwagen kann ausweichen, der zweite schleudert ihn
schwer verletzt davon. Als er aus dem Koma aufwacht, sagt er aus -
«umfassend und reumütig», betont die Verteidigung.
Warum einen Mord erwägen, statt irgendwie den Fehler zu beichten? Vor
Gericht taucht die Frage immer wieder auf. Sie hätte ihm vielleicht
den Fehler, aber niemals die jahrelange Lüge verziehen, versucht der
62-Jährige zu erklären. Er habe Angst um seinen Beruf gehabt. Eine
Antwort, warum er trotz aller «denkbaren Varianten» am Ende keinen
anderen Ausweg sah, bleibt er schuldig.
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