Wie soll das Gesundheitssystem aussehen? - DGB macht Vorschläge Von Christian Schultz, dpa

Wie weit darf ein Gesundheitssystem auf Kostensenkung und Rendite
getrimmt werden? DGB und Verdi finden: nur sehr begrenzt. Die
Gewerkschaften fordern einen Umbau der Strukturen. Das Ministerium
sieht sich schon auf dem Weg dorthin.

Mainz (dpa/lrs) - Ärztemangel, hohe Arbeitsbelastung, Krankenhäuser
in Turbulenzen - unabhängig von der Corona-Krise zeigen sich immer
wieder Schwachstellen des Gesundheitssystems. Veränderungen fordern
viele. Die große Frage ist, wie die bei stationärer oder ambulanter
Versorgung sowie bei der Finanzierung aussehen sollen. Vorschläge von
DGB und Verdi heizen die Debatte inmitten der Pandemie neu an. Genau
die habe gezeigt, dass es so nicht weitergehen könne, argumentieren
die Gewerkschaften. Auch das Gesundheitsministerium in Mainz sagt, es
brauche neue Lösungswege. Dafür liefen schon Projekte, die vom DGB
vorgestellten Punkte habe man bereits in den Blick genommen.

DGB-Landeschef Dietmar Muscheid rechnet vor, die Zahl der
Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz sei seit 1990 von 115 auf 83
gesunken. Die Arbeit etwa von Pflegern sei unterbezahlt, die
Arbeitsbedingungen seien schlecht trotz großer Verantwortung. Als ein
Grund machen DGB und Verdi das erzwungene betriebswirtschaftliche
Denken aus. Dazu trage das System der Abrechnung medizinischer
Leistungen über Fallpauschalen bei - das DRG-System. Michael
Quetting, Verdi-Pflegebeauftragter, sagte, Deutschland habe die
Corona-Krise bislang recht gut gemeistert, weil große Teile des
DRG-Systems außer Kraft gesetzt worden seien. Zuletzt sei auch für
bereitgehaltene Betten gezahlt worden, auch wenn diese leer stünden.

«Die Gesundheitsversorgung darf keinem privaten Unternehmen
überlassen werden», heißt es im Konzept von DGB und Verdi. Investoren

hätten nunmal Renditeerwartungen, sagte Muscheid. «Das ist Geld, das
aus dem System rausgeht.» Auch der stellvertretende Vorsitzende des
Vorstands der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz,
Andreas Bartels, sagt, Begriffe wie Shareholder-Value oder
Gewinnmaximierung passten nicht recht zum Thema Gesundheit, große
Krankenhauskonzerne seien aber ihren Aktionären verpflichtet. Vor
Jahren habe es im Gesundheitssystem einen gewissen Druck gegeben hin
zu mehr Wirtschaftlichkeit gegeben. «Dass es dann zu einer geballten
Ökonomisierung gekommen ist, sehen wir auch bei der KV kritisch.»

Für Günther Matheis, Präsident der Landesärztekammer, ist das Syste
m
der Fallpauschalen gegen die Wand gefahren. Es habe dazu geführt,
dass hochpreisige medizinische Leistungen fast überall angeboten
würden, weniger lohnenswerte kaum. Kleine Kliniken, die teure
Leistungen nicht erbringen könnten, kämen in Probleme. Rund ein
Viertel der Kliniken sei kaum noch überlebensfähig.

Peter Förster, Vorsitzender des Verbands der Krankenhausdirektoren
Rheinland-Pfalz/Saarland und Geschäftsführer des Westpfalz-Klinikums,
umschreibt das System so: «Es ist Wille der Politik, dass
Krankenhäuser als Wirtschaftsbetriebe zu führen sind.» Betreiber
müssten zumindest ausgeglichene Jahresabschlüsse erreichen, manche
Renditen für ihre Kapitalgeber erzielen. Auch Förster ist kein
DRG-Fan. Mit dessen Einführung habe der Gesetzgeber darauf hinwirken
wollen, dass Kliniken bei Behandlungen wirtschaftlicher vorgehen.
«Für mich ist diese Abrechnungsform der Kern des Übels.» Geändert

werden kann dieses System nur auf Bundesebene.

Bartels von der KV sagt: «Es schwankt zwischen Planwirtschaft und
freiem Wettbewerb.» Einerseits gebe es zum Beispiel bei der
Landeskrankenhausplanung klare Vorgaben, andererseits kauften etwa im
ambulanten Bereich immer mehr Investoren oder Hedgefonds
hochprofitable Praxen auf. Das sei bei Dialyse-, Augenarzt- oder
Zahnarztpraxen zu beobachten, dort seien Ärzte dann angestellt.
Käufer einer Dialysepraxis könne etwa ein Hersteller von
Dialysegeräten sein, Käufer einer Zahnarztpraxis könne eine Firma mit

Dentallabor sein. «Die schneiden sich mehrere Stücke vom Kuchen ab.»


«Diesen Investoren geht es nicht nur um die Patientenversorgung,
sondern um Rendite», kritisiert auch Matheis. Die Freiberuflichkeit
in den Praxen werde unterminiert, es werde nur noch das gemacht, was
der Investor richtig und wichtig finde. Der Bundesgesetzgeber müsse
etwas tun, damit dem ein Riegel vorgeschoben werde.

KV-Vertreter Bartels hält das Fallpauschalen-System nicht für den
Kern der wirtschaftlichen Probleme zahlreicher kleiner Kliniken. Das
System sei zwar für universitäre Einrichtungen mit Forschung und
Lehre schwierig, sonst kämen vielen Kliniken aber durchaus damit aus.
Er hält eine Krankenhauslandschaft mit weniger Häusern für sinnvoll.

Es brauche nicht die vielen kleinen Kliniken in der Fläche, oft
würden Patienten ohnehin in größere gebracht, wo Spezialisten seien.


Ähnlich klingt das bei Jörn Simon, Leiter der Landesvertretung der
Techniker Krankenkasse (TK). Bereits vor aber auch während der
Pandemie habe sich gezeigt, dass die Bündelung von Leistungen und
Spezialisierungen der einzig erfolgversprechende Weg sei. Sympathie
hat Simon für eine stärkere Verzahnung von stationärem und ambulantem

Bereich. Sofern in der Fläche kein niedergelassener Facharzt zur
Verfügung stehe, werde man Möglichkeiten mit einem Krankenhaus
finden. Nach Auffassung von Martina Niemeyer, Vorstandsvorsitzende
der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland, müssen stationäre Kapazitäten so
geplant werden, dass es eine gute Versorgung gebe und gleichzeitig
Wirtschaftlichkeitsaspekte nicht außer Acht gelassen würden.

Verdi-Landesbezirksfachbereichsleiter Frank Hutmacher macht weitere
Schwachstellen der aktuellen Strukturen aus. Das Land trage in der
Regel die Investitionskosten von Kliniken, aber nicht komplett.
Krankenhäuser müssten den verbliebenen Teil über die Fallpauschalen
hereinbekommen, die es für Behandlungen gebe. Heraus komme ein Werben
um die bestbezahlten Patienten. Matheis von der Landesärztekammer
sagt, der Investitionsstau in den Kliniken gehe in die Milliarden.
Das Land müsse die Investitionskosten wieder komplett decken.

«Die jetzige Finanzierung ist darauf ausgerichtet, den
Krankenhaus-Markt auszudünnen», befindet Förster vom Verband der
Krankenhausdirektoren. «Langsam und ohne Struktur.» Wenn die
Kliniklandschaft verändert werden solle, müsse das gesamte
Gesundheitssystem umstrukturiert werden. «Gesundheit ist eine
Daseinsvorsorge, die keinen ökonomischen Zwängen unterliegen darf.»

DGB und Verdi bringen einen «Masterplan Krankenhaus» ins Spiel. Für
fünf Regionen solle in fünf öffentlichen Gesellschaften der Bedarf an

Gesundheitsleistungen ermittelt werden. Es solle Klinik-Budgets
geben, die auch Kosten für das Vorhalten von Geräten und Personal
berücksichtigen. Unter dem Strich erwartet Quetting nicht, dass dabei
mehr Kosten entstehen, weil etwa Doppelstrukturen abgebaut würden.

Das Gesundheitsministerium in Mainz verweist auf ein im Herbst 2019
initiiertes Projekt. In dem werde mit Krankenhausgesellschaft, KV und
gesetzlichen Kassen ein Konzept für stationäre und ambulante
Versorgung entwickelt. An einem Umbau des DRG-Systems werde in einer
Arbeitsgemeinschaft der Gesundheitsministerkonferenz gearbeitet.

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