Corona-Pandemie und die Liebe - Scheidung oder lieber nicht? Von Thomas Strünkelnberg, dpa
Die Krise schweißt zusammen, sollte man meinen. Oder doch nicht? Für
viele Ehen könnten der sogenannte Lockdown, Homeoffice und
Schulschließungen der letzte große Beziehungstest gewesen sein - und
das Aus bedeuten. Aber es gibt auch noch einen ganz anderen Effekt.
Hannover (dpa) - Mehr Zeit für die Familie, für den Partner, raus aus
dem beruflichen Hamsterrad - viele dürften sich das gewünscht haben.
Jedenfalls vor dem Corona-Stillstand. Aber mal ehrlich: Während der
Corona-Beschränkungen den ganzen Tag mit dem Partner verbringen,
umgeben von quengelnden Kindern, die Hilfe beim Homeschooling
(Hausunterricht) brauchen, die eigene Arbeit zu Hause im Homeoffice -
das war mehr, als so mancher sich gewünscht hat. Oder verkraften
konnte. War die Pandemie für Partnerschaften der ultimative
Stresstest, stehen wir vor einer Scheidungswelle? Erst in einem Jahr,
nämlich nach dem Trennungsjahr, dürfte klar sein, ob das stimmt.
Einer Umfrage zufolge könnte die Zahl aber spürbar steigen.
Seit Mitte März registrierte die Berliner Familienrechtlerin Alicia
von Rosenberg «unheimlich viele Anfragen» zu Scheidungen. Und während
früher die Voraussetzungen erfüllt und das obligatorische
Trennungsjahr absolviert waren, ist diesmal alles anders: «Die Leute
hatten sich gerade erst getrennt und sich nicht informiert, welche
Voraussetzungen erfüllt sein müssen.»
Maren Otto, Paar-Therapeutin in Hannover, sprach von «größerem
Andrang», die Anfragen stiegen um etwa ein Viertel - ausgerechnet in
der Zeit, als Therapeuten wegen der Pandemie nicht arbeiten durften
und telefonisch berieten. Normalerweise gebe es ein «Sommerloch»,
eine Zeit, in der die Menschen lieber in den Urlaub führen und keine
Lust auf Paar-Coaching hätten: «Das war diesmal völlig anders.»
Rainer Bugdahn von der Hauptstelle für Lebensberatung der
evangelischen Landeskirche Hannover sieht zwei klare Tendenzen: Im
Corona-Lockdown hätten Familien mehr Zeit gehabt, miteinander zu
reden - daher gebe es keinen akuten Beratungsbedarf. Bei anderen
verschärften sich dagegen die Paar-Konflikte. Der Grund: Sie mussten
mehr Zeit zusammen verbringen, während Kommunikationsfähigkeit und
-wille gering seien. «Welche Tendenz die stärkere ist, kann ich nicht
benennen, da uns noch keine belastbaren Zahlen vorliegen», sagte er.
Aber offensichtlich habe der sogenannte Lockdown dazu geführt, dass
in Familien insgesamt mehr miteinander gesprochen werde - viele Paare
hätten deshalb weniger Beratungsbedarf.
Bei anderen dagegen wuchs der Bedarf: Ein Paar habe ihr erklärt, der
Lockdown sei erstmals seit Jahren eine Chance gewesen, sich um alles
zu kümmern - auch um rechtliche Fragen wie eine Scheidung, sagte von
Rosenberg. «Bei manchen ist das die Hürde, eine Scheidung anzugehen:
Jetzt hat man auf einmal Zeit.» Bei anderen habe sie bemerkt, dass es
«geknallt» haben musste - der verordnete Rückzug in die eigenen vier
Wände brachte die Entscheidung: Ich muss mich trennen.
Möglicherweise kein Einzelfall: Einer Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts Civey zufolge wird sich die Zahl der
Scheidungen in Deutschland wegen der Corona-Beschränkungen
voraussichtlich um ein Fünffaches erhöhen. Demnach sagten 2,2 Prozent
der rund 2500 Befragten, zwischen Ende März und Ende Mai beschlossen
zu haben, sich scheiden zu lassen. In einem Zwei-Monats-Zeitraum 2018
seien es nur 0,42 Prozent aller Verheirateten gewesen.
Bei den Gerichten schlägt sich dies aber noch nicht nieder. Denn
falls es zu Trennungen in der Corona-Zeit gekommen sein sollte,
würden die Scheidungen erst im nächsten Frühjahr eingereicht werden
können, weil das Trennungsjahr abgewartet werden müsse, erklärte ein
Sprecher des Amtsgerichts Hannover.
Einen Ausblick auf das, was kommen könnte, geben aber Presseberichte
über die Lage in China: Dort soll für viele Paare der erste Weg in
Freiheit nach der Quarantäne zum Scheidungsanwalt geführt haben.
Wieso ist das so? Maren Otto erklärte, besonders Paare mit Kindern
seien in «krisenhafter Situation»: Kinder im Homeschooling, dazu
Mutter und Vater im Homeoffice. Und wenn Absprachen nicht
funktionierten, führe das zu großen Enttäuschungen. Viele Männer
hätten sich mit dem Argument, Vollzeit zu arbeiten, zurückgezogen und
die Frauen mit den Kindern und der eigenen Arbeit allein gelassen.
Die Krise habe die traditionelle Rollenverteilung verfestigt,
kritisierte sie. Bugdahn sagte, der Bedarf an Familienberatung bei
Eltern-Kind-Konflikten - Stichwort «Homeschooling» - sei «merkbar
gestiegen». Eltern seien manchmal überfordert und «mit ihrem Latein
am Ende».
Und der Lockdown habe «wie ein Brandbeschleuniger» gewirkt, erklärte
Otto. Denn mancher fühlte sich daheim eingesperrt, und wo es in der
Partnerschaft ohnehin kriselte, kochte die Auseinandersetzung hoch.
Das Problem: «Paar-Therapie per Telefon ist sehr schwer», erklärte
die Therapeutin. «Es geht um Vertrauen.» Bei vielen älteren Paaren
sei die Lage ernst, wenn sie zur Therapeutin kommen: «Die Therapie
ist der letzte Versuch.»
Doch möglicherweise kommt es nicht so schlimm wie befürchtet: Eine
Mandantin habe erst einmal abgesehen von der endgültigen Trennung,
sagte von Rosenberg. Der Grund: In der Zeit des Lockdowns wurde der
Kontakt zu ihrem Ehemann viel besser. Da hatte die Corona-Krise ganz
unerwartet auch ihr Gutes.
Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK
Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.