Fleischbranche sieht sich nach Tönnies-Skandal am Pranger

Der Corona-Ausbruch bei Tönnies hat die Arbeitsbedingungen in der
Fleischbranche in den Blickpunkt gerückt - das spüren auch Betriebe
in Rheinland-Pfalz. Ein Gewerkschaftsvertreter sieht hierzulande
bessere Corona-Schutzkonzepte, aber durchaus auch Probleme.

Wittlich/Koblenz (dpa/lrs) - Die Auswirkungen des Corona-Ausbruchs
beim Tönnies-Fleischkonzern in Nordrhein-Westfalen und die Debatte um
Arbeitsbedingungen in der Branche schlagen bis nach Rheinland-Pfalz
durch. Hier bekommen sowohl größere Schlacht- oder
fleischverarbeitende Unternehmen die Folgen zu spüren als auch das
von kleinteiligen Strukturen geprägte Fleischerhandwerk zwischen
Westerwald und Pfalz.

Die Fleischer-Innung Mosel-Eifel-Hunsrück in Prüm klagt zum Beispiel,
die «aktuellen Vorgänge in den Großschlachtereien» hätten zu eine
m
erheblichen Imageschaden der Fleischindustrie geführt, worunter die
gesamte Branche leide. «Unabhängig davon, wer tatsächlich Schuld
trägt, wird die gesamte Branche überwiegend in einen Topf geworfen.»

Doch es gibt auch Entwicklungen, die Hoffnung machen.

Bernhard J. Simon sieht die Branche in einer Art «Sippenhaft». Man
könne den Eindruck gewinnen, dass jeder alles falsch mache. Doch dem
sei nicht so. Der 40-Jährige ist Geschäftsführer der Simon Fleisch
GmbH aus Wittlich, dem größten Fleischbetrieb von Rheinland-Pfalz,
der zu den Top-Ten in Deutschland zählt. Der Schweinepreis sei
eingebrochen, obendrein drohten Sperren beim Export. «Die Chinesen
sind extrem nervös», sagt Simon mit Blick auf das Thema Coronavirus.
Der dortige Markt sei aber wichtig, dorthin gingen etwa Schweinefüße,
-schwänze oder -ohren, die sich in Europa nicht mehr absetzen ließen.

Seit dem massiven Corona-Ausbruch bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück
sind die Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche im Fokus, die
Massenunterkünfte von Unternehmen oder Subunternehmen sowie
Werkverträge. Simon sieht ein «überzogenes und undifferenziertes
Eindreschen auf die Branche». Unzweifelhaft hätten einige Unternehmen
die Unterbringung ausländischer Mitarbeiter schlecht organisiert und
keine geeigneten Schutzkonzepte gegen Corona umgesetzt. Sein
Unternehmen habe gemeinsam mit dem zuständigen Gesundheitsamt ein
gutes Konzept entwickelt. Bei den jüngsten Reihentests seien keine
Corona-Fälle im Betrieb festgestellt worden. Positiv seien nur Tests
zweier Beschäftigter gewesen, die aktuell nicht gearbeitet hätten,
einer sei in Elternzeit und einer seit längerer Zeit erkrankt.

Zur Unterbringung von Arbeitskräften biete Simon Fleisch einen Mix
aus Wohngemeinschaften, kleineren und größeren Wohnungen, letztere
für die, deren Familien nachzögen. Auch Werkverträge seien nicht per

se schlecht. Gerade Arbeiter aus dem Ausland, die nicht dauerhaft
ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland sähen, wollten oft keine
Festanstellung. «Aufgrund der hohen Sozialabgaben in Deutschland ist
bei gleichem Bruttolohn der Nettolohn geringer als wenn ein
Mitarbeiter im Heimatland angestellt bleibt und nach Deutschland im
Rahmen der EU-Regelungen bis zu 24 Monate entsendet wird.»

Deutlich verhaltener klingt Jerome Frantz von der Gewerkschaft
Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Er hält den Umgang mit dem neuen
Coronavirus und den Gesundheitsschutz in Firmen in Rheinland-Pfalz
für umsichtiger als anderswo. Doch auch hier laufe manches nicht gut.
Auch hier würden Werkverträge genutzt, um «Lohndumping» zu betreibe
n,
die Verantwortung für Mitarbeiter werde auf Subunternehmer
ausgelagert. «Das System insgesamt ist faul» , meint Frantz.

Die Fleischer-Innung Mosel-Eifel-Hunsrück sagt, durch Verfehlungen
einzelner komme die ganze Branche in Verruf - das treffe auch das
Handwerk. Dabei prangerten die Fleischerinnungen als Vertreter des
regionalen Handwerks bei der Politik schon seit Jahren Missstände an.
Durch Gesetze und Verordnungen würden handwerkliche Strukturen nicht
gefördert, sondern in vielerlei Hinsicht sogar gefährdet. «Das führ
t
zu einer Benachteiligung gegenüber der Industrie.»

Thomas Christian, Obermeister der Fleischer-Innung Rhein-Westerwald,
sagt: «Die Politik macht es uns sicher nicht einfach mit dieser Flut
an Gesetzen und Verordnungen, gerade auch junge Menschen für unseren
Beruf zu interessieren beziehungsweise gestandene Betriebe
fortzuführen.» Verlangte Pflichten und Dokumentationen seien kaum zu
erfüllen, es brauche weniger Gesetze und Verordnungen. Die Politik
müsse erkennen, wie wichtig gerade kleine Fachgeschäfte seien.

Alexander Zeitler, Geschäftsführer des Fleischerverbandes
Rheinland-Rheinhessen mit Sitz in Koblenz, sieht ebenfalls eine
Benachteiligung handwerklicher Betriebe. So zahlten Großunternehmen
weniger für Fleischbeschauer als kleine Betriebe. Auf kleinere
Betriebe kämen vergleichsweise hohe Entsorgungskosten für
Schlachtabfälle zu und der Schlachtraum, der in einem Kleinbetrieb
vielleicht einmal die Woche genutzt werde, müsse den Rest der Zeit
leer stehen, dürfe nicht anders genutzt werden. All das mache es
Fleischern schwer, die eigene Schlachtung aufrechtzuerhalten.

Trotz aller Probleme sagt Zeitler auch, in der Corona-Krise blieben
mehr Menschen zu Hause, kochten mehr und kämen öfter in Fachgeschäfte

wie Metzgereien. Dort müssten Verkäufer hinter der Theke wie immer
nach Fleischskandalen viel Rede und Antwort stehen. Christian von der
Fleischer-Innnung Rhein-Westerwald berichtet gleichermaßen von mehr
Kunden in den Fachläden in der Corona-Krise. «Man kauft also regional
und bei dem Fleischermeister, den man vielleicht noch selbst kennt
und dem man sein Vertrauen schenkt.» Und nach seiner Einschätzung
sind Skandale in der Fleischindustrie gar nicht das größte Problem -
die Betriebe hätten derzeit noch mehr unter dem pandemiebedingten
Wegfall von Partyservice und Wurstproduktion für Feste zu leiden.

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