Rücklagen von Behinderten-Werkstätten durch Krise aufgebraucht

Werkstätten für behinderte Menschen kehren nach coronabedingten
Schließungen zur Normalität zurück. In der Krise haben sie ihre
Beschäftigten dank Rücklagen weiter bezahlen können. Doch diese sind

nun aufgebraucht.

Wetzlar/Kassel (dpa/lhe) - Mit zurückgelegtem Geld haben Werkstätten
für behinderte Menschen in Hessen die Folgen der Corona-Pandemie für
ihre Beschäftigten aufgefangen. Nun sei die sogenannte
Schwankungsrücklage vieler Einrichtungen aufgebraucht, sagte Jörg
Heyer von der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für
behinderte Menschen: «Jetzt hoffen alle, dass sich die
wirtschaftliche Situation so entspannt, dass sie ohne Kürzungen
weiterzahlen können.»

Anfang der Woche hat Hessen das wegen der Pandemie erlassene
Betretungsverbot aufgehoben. Damit dürfen wieder alle Menschen mit
Behinderung in Werkstätten arbeiten, sofern sie nicht erkrankt oder
Risikopatienten sind. Laut der Landesarbeitsgemeinschaft arbeiten im
Land 19 800 Menschen in den Werkstätten, die von 65
Trägerorganisationen betrieben werden.

Wegen der Pandemie waren auch viele Behinderten-Werkstätten
geschlossen worden. Ausnahmen seien einige systemrelevante
Einrichtungen gewesen, die beispielsweise mit Großküchen andere
Einrichtungen versorgten oder für die medizinische Industrie
arbeiteten, erklärte Heyer. Nach mehreren Lockerungen der
Hygieneregeln seien nun alle Werkstätten wieder offen.

Die Geschäfte liefen unterschiedlich gut an: «Es gibt Werkstätten,
die regionalbedingt stark mit der Autoindustrie arbeiten, für die ist
es schwieriger», sagte Heyer. Andere seien weniger vom
Konjunktureinbruch betroffen.

Für Menschen mit Behinderung sind Werkstätten oft die einzige
Möglichkeit, am Berufsleben teilzuhaben. Für ihre Tätigkeit erhalten

sie ein Entgelt, das im Bundesdurchschnitt bei 220 Euro liegt. Doch
diese Zahl täusche, betonte Heyer: «Das ist kein Taschengeld.» So
könnten einzelne Entgelte wesentlich höher sein, zudem seien die
Menschen über die Werkstatt kranken- und rentenversichert.

Damit die Beschäftigten auch Geld bekommen, wenn Aufträge wegbrechen,
müssen Werkstätten für ein halbes Jahr eine Schwankungsrücklage
bilden. Diese sei allerdings nicht für eine Komplett-Schließung
gemacht und deswegen bei einigen Werkstätten aufgebraucht.
Einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben Menschen mit Behinderung in
den Werkstätten laut Heyer nicht.

Für Fachkräfte, die sich in den Einrichtungen um die Betreuung der
Beschäftigten kümmern, sei Kurzarbeit ebenfalls keine Option gewesen.
Denn der Landeswohlfahrtsverband (LWV), der in Hessen die
Eingliederung von Behinderten finanziert, setzte seine Zahlungen auch
während der Schließung der Werkstätten fort. «Als das
Sozialministerium das Betretungsverbot ausgesprochen hat, stand die
Entscheidung schon fest, dass wir die Vergütung weiter zahlen»,
erklärte LWV-Sprecherin Elke Bockhorst. Es sei aber Bedingung
gewesen, dass die Fachkräfte an anderer Stelle zur Betreuung
eingesetzt würden.