Messerangreifer aus Linienbus in U-Haft

Ohne Vorwarnung sticht ein Mann in einem Linienbus seine Frau mit
einem Küchenmesser nieder - vor den Augen mehrerer Schüler. Während
die Staatsanwaltschaft wegen Mordes ermittelt, raten Fachleute, den
Kindern und Jugendlichen nun ein Gefühl von Sicherheit zurückzugeben.

Obergünzburg (dpa/lby) - Nach dem tödlichen Messerangriff in einem
Linienbus bei Obergünzburg (Landkreis Ostallgäu) muss der
Tatverdächtige wegen Mordes in Untersuchungshaft. Das ordnete ein
Haftrichter beim Amtsgericht Kempten nach Angaben von Polizei und
Staatsanwaltschaft am Dienstag an.

Der Mann hatte laut Polizei am Montag in dem Bus mit einem
Küchenmesser unvermittelt auf seine Ehefrau eingestochen - vor den
Augen mehrerer Fahrgäste, darunter zehn Schüler. Die Frau starb wenig
später an ihren Verletzungen. Sie hinterlässt vier Kinder, die nach

Polizeiangaben zunächst vom Jugendamt in Obhut genommen wurden.

Die Polizei ermittelt eigenen Angaben zufolge schon seit November
2019 wegen häuslicher Gewalt gegen den Mann mit afghanischer
Staatsangehörigkeit. Vorbestraft ist er laut Staatsanwaltschaft
bisher aber nicht. Weitere Angaben wollen die Ermittler unter Verweis
auf die laufenden Verfahren nicht machen. Auch das Opfer hatte die
afghanische Staatsbürgerschaft. 

Experten gehen davon aus, dass der Angriff die Schüler im Alter von
11 bis 18 Jahren und ihre Familien noch einige Zeit beschäftigen
wird. Nach solchen Erlebnissen bräuchten Kinder Sicherheit und
Orientierung, sagt der Psychologe Simon Finkeldei von
der Kinderkrisenintervention der Aetas-Kinderstiftung in
München. «Alles, was Stress reduziert, ist gut.» Schon unmittelbar

nach der Tat sei Hilfe vor Ort wichtig: «Nach einer solchen
Stress-Situation geht es auch um Basis-Bedürfnisse, wie die Frage,
wie ich jetzt nach Hause komme.»

Im weiteren Verlauf sei für Eltern und Bezugspersonen wichtig, den
Kindern zu zeigen, dass sie nicht allein sind, sagt Finkeldei. «Dabei

kann man auch betonen, wie schnell Hilfe vor Ort war und der
Verdächtige gefasst wurde.» Außerdem könne man dadurch Orientierung

geben, dass Alltagsstrukturen beibehalten werden. 

«Man sollte die Kinder jetzt zum Beispiel nicht für mehrere Wochen
mit dem Auto zur Schule fahren, sondern die Kinder auf dem Schulweg
begleiten», sagt Kinder- und Jugendpsychotherapeut Peter
Lehndorfer. «Ängste kann man am ehesten bewältigen, wenn man nicht

allein ist.»

Wie Kinder und Jugendliche auf das Erlebte reagieren, sei
unterschiedlich, betonen die beiden Experten. Manche bräuchten
Gespräche, andere wollten eher Ablenkung oder Bewegung. «Die zwingen
wir nicht dazu, über das Erlebte zu reden», sagt Finkeldei. Pausen
von dem Thema könnten vor zusätzlichem Stress schützen, wenn der
Vorfall in den Medien und im sozialen Umfeld präsent sei. 

«An Schulen in Bayern sind Kriseninterventionsteams für solche Fälle

vorgeschrieben», sagt Finkeldei. «Meiner Erfahrung nach ist es ganz
wichtig, dass solche Erlebnisse dort Thema werden dürfen, vor allem
wenn mehrere Schüler betroffen sind.» Sei nur ein Schüler in einer
Klasse betroffen, sei eine Thematisierung in diesem Rahmen dagegen
eher nicht empfehlenswert, sagt Lehndorfer.

Nicht jedes Kind brauche nach einem traumatischen Erlebnis eine
Therapie, sagt Finkeldei. «Wenn ich aber merke, dass Kopf und Herz im
weiteren Verlauf nicht zur Ruhe kommen, lohnt es sich vielleicht,
professionelle Hilfe aufzusuchen.» Akute Reaktionen reichten von
Kopfschmerzen über Bauchweh bis zu Zurückgezogenheit, sagt
Lehndorfer. Halte dieser Zustand über mehrere Wochen an, bestehe die
Gefahr einer posttraumatischen Belastungsstörung. Professionelle
Hilfe sei in diesen Fällen wichtig. 

Die beiden Fachleute betonen jedoch auch, dass ihre Einschätzungen
nicht auf der Situation vor Ort, sondern der eigenen Berufserfahrung
beruhen. «Es gibt keine Hundert-Prozent-Regel, die für alle Kinder
gilt», sagt Finkeldei.