K-Frage ungelöst: Union vor einem Sommer der Ungewissheit Von Jörg Blank, Marco Hadem und Christoph Trost, dpa

Die Corona-Krise hat den Machtkampf in der CDU monatelang überdeckt.
Doch pünktlich zur Sommerpause ist nicht nur das Thema Parteivorsitz
wieder da. Sondern auch die Frage: Wer kann Kanzler?

Berlin/München (dpa) - Die Union steht vor Monaten der Ungewissheit -
der Machtkampf um CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur kann zur
Zerreißprobe werden. Zwar sind die Umfragewerte immer noch so gut wie
lange nicht mehr, auch wegen des Agierens der scheidenden
Krisenkanzlerin Angela Merkel. Doch fünf Monate vor der geplanten
Wahl des neuen CDU-Chefs Anfang Dezember in Stuttgart ist klar: Die
Corona-Krise hat den Kampf um die Nachfolge von Annegret
Kramp-Karrenbauer nur auf Eis gelegt. Und die Rangeleien zwischen
CSU-Chef Markus Söder und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet um den
richtigen Kurs in der Pandemie haben noch stärker als vorher
offenbart: Auch die Unions-Kanzlerkandidatur ist völlig offen.

Nun hat Bayerns Ministerpräsident die Debatte neu befeuert, indem er
über Bedingungen für die Kanzlerkandidatur der Unionsschwestern
räsonierte. Er weiß dabei sehr genau, dass er selbst in Umfragen in
diesem Punkt weit vorne liegt. Doch könne es ihm am Ende auf die Füße

fallen, wenn er wie am vergangenen Wochenende zu offensiv versuche,
als der dominante Akteur nicht nur in der Corona-, sondern auch in
der K-Krise der Union zu erscheinen, wird in der CDU gemahnt.

Aber wahr ist auch: Hört man sich in der CDU derzeit um, können sich
viele einen Kanzlerkandidaten Söder vorstellen. Es soll sogar
Mitglieder geben, die Söder gerne als CDU-Chef hätten - lieber als
einen der drei CDU-Kandidaten Laschet, den Wirtschaftspolitiker
Friedrich Merz oder den Außenexperten Norbert Röttgen. Zumal selbst
in der CDU bei einigen stark bezweifelt wird, ob sich Laschet aus dem
Meinungstief wird befreien können. Doch bis zur Wahl des neuen
Vorsitzenden dauert es noch fünf Monate - da kann noch viel
passierten, so oder so.

Im Berliner «Tagesspiegel» hatte der CSU-Vorsitzende über die
Kanzlerkandidatur gesagt, wer in der Corona-Krise versage, habe
«keinen moralischen Führungsanspruch». Söders Diktum: «Nur wer Kr
isen
meistert, wer die Pflicht kann, der kann auch bei der Kür glänzen.»


Zwar betont CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak nach den
Gremiensitzungen seiner Partei, die Zusammenarbeit der beiden
schwarzen Schwestern sei lange nicht mehr so gut gewesen wie heute -
dank Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Söder. Aber hinter
vorgehaltener Hand hört man in der CDU doch Verärgerung. Söder habe
mit seinen Sätzen alle drei Kandidaten beschädigt - und er könne
eigentlich nur auf Laschet zielen. Denn: Merz verfügt über gar kein
Amt oder Mandat, in dem er gerade eine operative Rolle in der
Corona-Krise spielen könnte - und Röttgen auch nicht. Bleiben also
nur Laschet - und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

Am Montag bemüht sich Söder, dem Eindruck zu begegnen, er habe
einzelne Kandidaten befördern oder beschädigen wollen. Oberste
Aufgabe sei es jetzt in der Corona-Krise, sich um das Wohl Vieler zu
kümmern und nicht um die Karrieren einzelner. Und überhaupt stellt er
seinen Beitrag vor allem als Lob für Merkels Krisenmanagement dar.
Auffällig zudem, wie Söder nun Laschet lobt, mit dem er schon
wiederholt über Kreuz lag. Die Corona-Zahlen in NRW gingen nach
unten, Laschet habe das «von außen betrachtet sehr, sehr stabil und
sehr stringent gemacht», sagt er jetzt. «Jeder leistet da seinen
Beitrag.»

Söder macht aber keinen Hehl daraus, dass er insbesondere Spahn sehr
schätzt. Der tritt im Team mit Laschet an - hinter dem
Ministerpräsidenten, der nach der Verabredung zwischen diesen beiden
Parteichef werden soll. Doch gibt es in der CDU-Spitze wie auch in
der CSU Stimmen, die sich eigentlich nur mit Spahn als Vorsitzendem
einen wirklichen Aufbruch der Christdemokraten nach der Ära Angela
Merkel und ihren 18 Jahren an der Parteispitze vorstellen können.

Aber gerade weil Laschet derzeit in der öffentlichen Meinung und in
den Umfragen bei der Kanzlerkandidatur so stark hinter Söder
zurückliegt, schließe sich bald wohl das Zeitfenster für Spahn, in
dem ein Rollentausch mit Laschet noch möglich sei, ist von CDUlern zu
hören, die sich in der Partei bestens auskennen. Dem in der CDU
ohnehin nicht überall beliebten Spahn - ihm wird immer noch ein
überbordender Ehrgeiz nachgesagt - könnte es als Illoyalität oder
Verrat an Laschet ausgelegt werden, sollte er doch nach dem Vorsitz
greifen.

Ein Rollentausch Laschet-Spahn wäre also nur möglich, wenn Laschet
ihn von sich aus anböte - was in der Partei derzeit aber nicht
erwartet wird. Bislang jedenfalls gehen viele davon aus, dass Laschet
als CDU-Chef auch nach der Kanzlerkandidatur greifen würde. Alles
andere würde ihn, so heißt es in der CDU bei einigen, schwer
beschädigen. Auch mit Blick auf die im Frühjahr 2022 anstehende
NRW-Landtagswahl. Zudem, wird von anderer Seite angeführt, berge eine
Kandidatur für den CDU-Vorsitz für Spahn unabwägbare Risiken: Ein
zweites Scheitern nach 2018 gegen AKK könne er sich kaum erlauben -
und dass er gegen Merz gewinne, sei dann doch unwahrscheinlich.

«Er gehört sicherlich zu den großen Hoffnungsträgern, die die CDU
hat», sagt Söder am Montag über Spahn - um dann noch schnell
hinterherzuschieben: «Aber die CDU hat viele Hoffnungsträger.»

Selbst in der CSU-Spitze können sie teils nur ungläubig mit dem Kopf

schütteln, wenn etwa Norbert Röttgen in der vergangene Woche fast
unverhohlen Söder als Kanzlerkandidaten empfiehlt. Ob es tatsächlich
das Grundgefühl einer solch staatstragenden Partei wie der CDU
treffe, wenn ein Vorsitzendenkandidat nur auf Platz spiele, war
zweifelnd zu hören. Röttgen hatte der «Frankfurter Allgemeinen
Zeitung» gesagt, der neue CDU-Chef müsse nicht zwingend
Kanzlerkandidat sein. «Wenn ein CSU-Kandidat gewinnen würde, dann
hätten wir es geschafft, nach 16 Jahren CDU-Kanzlerschaft gleich
wieder einen Unionspolitiker ins Kanzleramt zu bringen».

Bleibt noch die Frage: Was will Söder wirklich? Am Montag beteuert
er, wie so oft und auf wiederholte Nachfragen in den vergangenen
Wochen, sein Platz sei in Bayern. «Mein Platz ist immer in Bayern»,
sagt er diesmal sogar. «Ich führe die Debatte ja nicht, es wird ja
ständig über mich geredet, und zwar von allen.»

Dass Söder sich für kanzlertauglich hält, bezweifelt allerdings in
CSU und CDU kaum jemand. Welch ein Triumph, wenn ausgerechnet ihm
gelänge, woran die CSU-Partei-Ikone Franz Josef Strauß und auch
Edmund Stoiber gescheitert sind. Nach der Kandidatur greifen würde
Söder aber wohl allerhöchstens dann, wenn die CDU ihn bitten und wenn
ein Wahlsieg quasi sicher wäre. Ersteres gilt als unwahrscheinlich,
jedenfalls wenn der nächste CDU-Chef Laschet oder Merz heißt. Und
zweiteres ist derzeit, mehr als ein Jahr vor dem Wahltermin, noch
überhaupt nicht sicher zu beurteilen.

Söder weiß aber andererseits, dass er die Preise für die CSU
hochtreiben kann, wenn er sich möglichst lange im Spiel hält. Bis die
K-Frage entschieden wird, ist es ja auch noch viele Monate hin,
vielleicht bis Anfang 2021. Viele Monate der Ungewissheit also noch.