«Sex and Crime» - Fallbeispiele für einen zerstörerischen Trieb Von Bernhard Sprengel, dpa

Missbrauch, Vergewaltigung, Lustmord - in einem neuen Buch berichten
ein Rechtsmediziner und eine Gerichtsreporterin über erschütternde
Verbrechen in Norddeutschland. Was die Täter antreibt, steht für die
Autoren außer Frage.

Hamburg (dpa) - Andreas A. ist Arzt - und überfällt nachts
alleinstehende Hamburger Frauen in ihrem Bett. Maskiert dringt der
32-Jährige in ihr Schlafzimmer ein, bedroht sie und betäubt sie mit
Chloroform. Dann missbraucht er sie. 1991 verurteilte ihn das
Hamburger Landgericht wegen acht Vergewaltigungen zu sechs Jahren
Gefängnis. Seine Fantasien auszuleben, sei «wie ein Sog» gewesen,
sagt ein Gutachter in dem Prozess.

Serienvergewaltigern wie Andreas A. gehe es ausschließlich um die
eigenen Bedürfnisse, um Sex und wohl auch um Macht, schreiben der
Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel und die Gerichtsreporterin
Bettina Mittelacher in ihrem neuen Buch «Sex and Crime». Anhand von
weiteren Beispielen aus dem Hamburger Raum zeigen die Autoren, wie
Sex zur Triebfeder extremer Verbrechen wurde.

Sie schildern die Taten des sogenannten Heidemörders Thomas H., der
zwischen 1987 und 1990 drei junge Frauen entführte, vergewaltigte und
zu Tode quälte. Er habe sich selbst als «Lustmörder» bezeichnet. Di
e
Frauen nahm er im Auto mit in seine Wohnung, wo er sie grausam
misshandelte und erwürgte. 1993 verurteilte ihn das Landgericht
Hamburg zu lebenslanger Haft und wies ihn in eine Psychiatrie ein.
1995 gelang dem damals 31-Jährigen für drei Monate eine spektakuläre

Flucht aus der geschlossenen Anstalt - mit Hilfe einer Therapeutin,
die ihn später heiratete.

Püschel und Mittelacher gehen auch auf den «Säurefassmörder» ein,
der
1986 und 1988 zwei Frauen in einem Bunker zu Tode folterte. Die
menschlichen Abgründe dieser Fälle dürften für manchen Leser schwer

erträglich sein. An der Motivation der Täter lassen die Autoren
keinen Zweifel: «Durch sexuell orientierte Gewalt befriedigt ein
Täter seine sexuellen Bedürfnisse», schreiben sie. Der Sexualtrieb
sei ein «primum movens». «So wunderschön und erfüllend Sex sein k
ann,
so zerstörerisch kann er für manche Menschen werden», heißt es in d
em
Buch. Püschel und Mittelacher sprechen dabei stets von sexueller
Gewalt.

Experten für Gewalt gegen Frauen benutzen bei Übergriffen dagegen oft
den Begriff der sexualisierten Gewalt. Sie wollen damit ausdrücken,
dass die Gewalt nicht von einem unkontrollierten Sexualtrieb ausgeht,
sondern ein Akt der Aggression und des Machtmissbrauchs sei. Der
Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe erklärt
auf seiner Internetseite: «Das Motiv für sexualisierte Gewalt ist
nicht Sexualität, sondern Macht. Wir sprechen deshalb von
sexualisierter Gewalt. Sexualität wird funktionalisiert, um Frauen
und Kinder zu demütigen, sie zu erniedrigen und zu unterdrücken, mit
dem Ziel, sich selbst als mächtig zu erleben.»

Aufgrund von Untersuchungen in den Bürgerkriegsgebieten von
Jugoslawien und Ruanda weiß Püschel, dass es auch Verbrechen gibt,
bei denen die Ausübung von Gewalt im Vordergrund steht, die Opfer
aber auf sexuelle Weise gedemütigt werden sollen. Hier verwendet auch
er den Begriff der sexualisierten Gewalt. In dem Buch gehe es aber um
sexuelle Gewalt. «Der Sexualtrieb steht im Zentrum von dem, was ich
beschreibe», sagte Püschel der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist
eines der wichtigsten Motive, das diese Menschen antreibt.»
Medikamente könnten den Geschlechtstrieb bremsen, einige Straftäter
seien angesichts unabsehbar langer Sicherungsverwahrung sogar zur
Kastration bereit.