Zwischen Krise und Boom: Hessens Tourismus startet ins Sommergeschäft Von den dpa-Korrespondenten

In Hessen beginnen die Sommerferien. Durch die Corona-Krise sind
Reisen im eigenen Land beliebter geworden. Auch hessische
Tourismusziele profitieren - allerdings nicht alle.

Frankfurt/Edertal/Michelstadt (dpa/lhe) - Satish Chowdhry betreibt
seit elf Jahren ein Souvenirgeschäft in Frankfurt: Postkarten,
Eintracht-Schals, Bembel, Frankfurt-Bücher, Sonnenbrillen,
Regenschirme und unzählige weitere Dinge verkauft er in seinem Laden
auf dem Römerberg. Doch aktuell laufen die Geschäfte schlecht. «Es
ist nichts los», klagt er. «Momentan mache ich einen Umsatz von 20,
30 Euro am Tag.» Normal seien drei- oder vierstellige Beträge
täglich. Die Touristen aus der Ferne fehlten: Asiaten, Amerikaner,
Russen, Lateinamerikaner. Der 64-Jährige hofft, dass sich die Lage ab
September verbessert.

Wie andere Großstädte auch, sieht Frankfurt nach Jahren des
Tourismus-Booms das Land nun durch die Corona-Krise an sich
vorbeiziehen. «Das Motiv urbanes Reisen» habe es schwer, sagt
Frankfurts Tourismuschef Thomas Feda. «Die Menschen fragen sich: Wo
kann ich sicher reisen, wo kann ich sorglos reisen. Da fährt man
nicht in eine Metropole. Da ist Natur mehr gefragt.»

Zehn Jahre lang habe der Städtetourismus enorme Wachstumsraten
verbucht, jetzt gewinne eher das Land. «Für die Städte ist das ein
Problem», gibt Feda zu, zumal auch Geschäftsreisen rückläufig sind.

Gäste aus USA, Asien und Arabien - sonst rund ein Viertel der
Besucher - bleiben aus, die Zahl der Gäste aus Europa zieht immerhin
an, der überwiegende Teil sind derzeit Besucher aus der Region.

«Der Tagestourismus nimmt zu», erklärte Feda, «aber nicht
vergleichbar mit dem Volumen der letzten Jahre, geschätzt maximal die
Hälfte». Viele Hotels haben in Frankfurt geschlossen und machen wohl
auch bis zum Herbst nicht mehr auf. «Die Prognosen sind nicht
optimistisch: Wenn wir 20 Prozent Auslastung haben, ist das viel.»

In bekannten und etablierten Regionen dagegen wie Willingen, dem
Edersee, im Rheingau oder auch Teilen des Odenwalds sei die
Buchungslage für den Sommer gut, sagt Julius Wagner,
Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga). «
An
manchen Hotspots ist es schon jetzt schwierig, überhaupt noch Zimmer
zu bekommen. «Weite Teile des Landes verspüren den großen Run auf
Hessen allerdings noch nicht.» Wagner ruft deshalb dazu auf, das
Tourismusmarketing gerade für die Beherbergungsbranche zu verbessern
und den Wirtschaftsfaktor Tourismus für Hessen nicht zu
unterschätzen. Allein das Gastgewerbe stehe mit über 18 000 Betrieben
und insgesamt 200 000 Beschäftigten für über vier Prozent des
Bruttoinlandsprodukts in Hessen und sei in vielen ländlichen Regionen
die Branche Nummer eins.

Zu den Regionen, die sich durch die Corona-Krise wachsender
Beliebtheit erfreuen, gehört der nordhessische Edersee. «Es ist
tatsächlich so, dass die Menschen verstärkt bei uns Urlaub buchen»,
sagt Claus Günther, Geschäftsführer der Edersee Touristic. Täglich

gingen hunderte Anfragen nach Unterkünften ein. Doch meist haben die
Anrufer Pech: In Segmenten wie Camping und vor allem Ferienwohnungen
- diese machen den Großteil des Angebots in Region aus - gebe es für
die Sommerferien kaum noch freie Angebote. Doch auch die Hotels seien
gut gebucht. Normalerweise besuchen drei bis vier Millionen
Tagesgäste pro Jahr den Edersee, es gibt rund 700 000 Übernachtungen.
Wie viele es in diesem Jahr werden, muss sich zeigen.

Getragen wird der Ansturm bisher hauptsächlich von Deutschen. Zwar
ist die Region auch bei europäischen Nachbarn wie Niederländern
beliebt, doch da gebe es bisher keine steigende Nachfrage. Laut
Günther ist das Preisniveau am Edersee trotz der Nachfrage nicht
gestiegen. Die Gäste erwarte auch in Pandemiezeiten ein
vergleichsweise normaler Urlaub: Freizeitangebote wie
Sommerrodelbahn, Bergbahn, Baumkronenweg und Maislabyrinth seien
geöffnet. Auch auf dem Wasser «sei alles möglich», erklärte Gün
ther.
Der Stausee, der in den vergangenen Jahren unter Wassermangel litt,
ist zu 63 Prozent gefüllt.

Radeln und Wandern ist im südhessischen Odenwald besonders beliebt.
Und auch in Zeiten der Corona-Krise gehen Tourismusmanager
optimistisch gestimmt in die Sommerferien. Besondere Regeln gibt es
wegen möglicher Infektionsgefahren nicht. «Der Odenwald hat den
Vorteil, dass er nicht überlaufen ist», sagt die Geschäftsführerin

der Odenwald Tourismus GmbH, Kornelia Horn. Ausnahme bei
Beschränkungen gebe es nur für das von Hessen erlassene
Beherbergungsverbot für Menschen aus Gebieten mit erhöhten
Infektionsgefahren. Stornierungen habe es allerdings noch nicht
gegeben. Zudem würden in diesem Jahr vor allem Menschen aus den
umliegenden Ballungsräumen kommen. Der Odenwald habe den Vorteil,
dass es keine großen Hotels gebe. Gebucht würden Ferienhäuser oder
Zimmer in kleinen Familienbetrieben. Urlaub auf dem Bauerhof sei aber
jetzt schon komplett ausgebucht. «Wir haben mehr längerfristige
Buchungen als sonst.»