Nur ein paar Flammen? USA droht Corona-Flächenbrand Von Benno Schwinghammer, dpa

Den Corona-Berater der US-Regierung hat man schon lange nicht mehr an
der Seite von Donald Trump gesehen. Kein Zufall, will doch der
US-Präsident die Corona-Pandemie vergessen machen - wenn da nicht die
desaströsen Zahlen wären.

Washington (dpa) - Am Dienstag saß Anthony Fauci auf einem mit
schwarzem Leder überzogenem Stuhl im Herzen der US-Demokratie: dem
Senat in Washington. Was der führende Corona-Berater der Regierung
bei der Anhörung sagte, als er seine Maske mit dem Logo des örtlichen
Baseball-Teams abnahm, war mehr als nur beunruhigend: «Wir bewegen
uns in die falsche Richtung», erklärte er und warnte vor 100 000
Neuinfektionen pro Tag in den Vereinigten Staaten. Am Donnerstag war
die Schwelle von 50 000 überschritten. Ein trauriger Rekord.

DIE ZAHLEN

Wer auf der Internetseite der Johns-Hopkins-Universität die Übersicht
für die USA anklickt, sieht einen Haufen rote Kacheln. Sie stehen für

die Bundesstaaten, in denen die Corona-Aussichten düster sind. Vor
allem der Süden der Vereinigten Staaten verzeichnete in den
vergangenen Wochen täglich deutliche Anstiege - darunter in den
bevölkerungsreichen Staaten Florida, Texas und Kalifornien.

Wegen der relativen Entspannung unter anderem im ehemaligen
Epizentrum New York waren viele Gouverneure der Ansicht, das Land
habe das Schlimmste hinter sich und die Krankheit sei kontrollierbar.
In einigen Regionen öffneten neben Büros auch die Schankräume von
Restaurants sowie Bars und Fitnessstudios. Von Corona war vor einem
Monat am Memorial-Day-Wochenende, bei dem viele Amerikaner Freunde
und Familie besuchen oder zum Strand fahren, teilweise nicht mehr
viel zu spüren.

In der Folge sind es US-Medien zufolge vor allem die Jüngeren, die
nun den Ausbruch vorantreiben. Fast die Hälfte aller Tests in Arizona
würden bei Leuten im Alter zwischen 20 und 44 Jahren durchgeführt.
In Florida ist das Durchschnittsalter Neuinfizierter der «New York
Times» zufolge von 65 auf 35 gefallen. Und auch in einigen Metropolen
von Texas seien die Jungen bei den Erkrankungen in der Überzahl.

DAS AMERIKANISCHE PROBLEM

Warum die USA in der Bekämpfung des Coronavirus mit mehr als 128 000
Toten so schlecht abschneiden, lässt sich nicht allein mit den 50
Bundesstaaten und dem individuellen Vorgehen ihrer Gouverneure
erklären. Ein großer Unterschied zu dem Vorgehen anderer Staaten -
darunter Deutschland - ist die teilweise Entkopplung der Politik von
der Wissenschaft. Während die Experten - allen voran Anthony Fauci -
zu Vorsicht mahnen, drängten Politiker, einige Medien und vor allem
Präsident Donald Trump auf die Öffnung des Landes.

Fauci wurde schon seit Wochen nicht mehr an Trumps Seite gesehen. Das
hat einen Grund, denn der Fokus liegt für den US-Präsidenten darauf,
die Wirtschaft wieder zum Rekordkurs vom Jahresbeginn zurückzuführen.
Trump hält den Zustand von Ökonomie und Wall Street für sein größ
tes
Argument für eine zweite Amtszeit.

Im November wird in den USA über einen neuen Präsidenten abgestimmt
und bei jedem Schritt wird die Wahl mitbedacht. So ist wohl auch
Trumps Entscheidung zu erklären, in der Öffentlichkeit keine
Gesichtsmaske zu tragen. Berichten zufolge hat er die Sorge, dass sie
ihn ängstlich oder schwach aussehen lassen könnte. Stattdessen machte
er sich über seinen designierten demokratischen Herausforderer Joe
Biden lustig, weil dieser Maske trägt.

WIE STEHTS UM DIE WIRTSCHAFT?

Die jüngsten Arbeitsmarktzahlen machen Hoffnung, denn die
Arbeitslosenquote im Juni sank den zweiten Monat in Folge deutlich
auf nunmehr 11,1 Prozent. Im April hatte die Arbeitslosenquote noch
bei 14,7 Prozent gelegen. Mögliche Auswirkungen der jüngsten
Zuspitzung der Pandemie sind dabei aber noch nicht berücksichtigt -
in den besonders betroffenen Bundesstaaten wurden viele Lockerungen
zuletzt wieder rückgängig gemacht oder verschoben. Die Börse hat sich

zwar von einem Großteil der Verluste aus dem März wieder erholt, doch
auch hier hängt vieles von der weiteren Corona-Entwicklung ab.

DER UNABHÄNGIGKEITSTAG

Schon der Memorial Day Ende Mai wurde für eine Steigerung der
Infektionszahlen verantwortlich gemacht. Nun ist die Sorge vor dem
nächsten langen Wochenende wegen des Unabhängigkeitstages am Samstag
groß. In vielen Städten sind die sonst umfänglichen Feiern kleiner,

Bürger werden angehalten, die Feuerwerke von zu Hause am Fernseher
anzuschauen. Doch ob viele Amerikaner bereit sind, ihre
Unabhängigkeitspartys, Besuche bei der Familie oder Wochenendtrips
nach Monaten sozialer Einschränkungen abzusagen, ist fraglich.

WAS BEDEUTET DIE KRISE FÜR TRUMP?

Donald Trump blieb auch am Donnerstag bei seiner Strategie, die
Gefahr durch das Virus kleinzureden. Bei einer Pressekonferenz lobte
er die Arbeitsmarktzahlen und stellte die Pandemie als unter
Kontrolle dar: «Wir verstehen diese schreckliche Krankheit jetzt»,
sagte er und pries gleichzeitig die Öffnung von Läden. Dies alles
gehe «viel schneller» als alle dachten. Und die «Flammen», die es
hier und da noch gebe, würden ausgetreten. Die Zahl der
Neuinfektionen erklärte Trump immer wieder mit deutlich mehr
durchgeführten Tests. Doch damit ist die ebenfalls steigende Zahl an
Einlieferungen in Krankenhäuser nicht zu erklären.

Trumps Problem bei alledem scheint einer Studie der «New York Times»
zufolge im Moment zu sein, dass eine deutliche Mehrheit der
Amerikaner der Meinung ist, die Bekämpfung der Pandemie sollte
Priorität haben, auch wenn dadurch die Wirtschaft geschwächt würde.
Von Trumps Antwort sind viele demnach enttäuscht, was Herausforderer
Biden zugute kommt. Noch vor einigen Wochen hatte Trump sich
angesichts der Pandemie als «Kriegspräsident» bezeichnet, zuletzt
spottete Biden: «Es scheint, dass unser «Kriegspräsident» sich
ergeben, die weiße Flagge geschwenkt und das Schlachtfeld verlassen
hat.»