Koalition verteidigt Rekordschulden - Scholz: Sozialstaat ausbauen

Fast 218 Milliarden Euro - so viele neue Schulden hat noch keine
Regierung in einem Jahr aufgenommen. Vizekanzler Scholz verspricht,
trotzdem nicht am Sozialstaat zu sparen. Teile der Opposition sehen
jedoch Verfassungsprobleme.

Berlin (dpa) - Die große Koalition hat im Bundestag die geplanten
Rekordschulden zur Bewältigung der Corona-Krise verteidigt. Neue
Kredite von fast 218 Milliarden Euro aufzunehmen, falle nicht leicht,
sei angesichts der Herausforderung aber unausweichlich, machten Union
und SPD am Donnerstag klar. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) versprach,
trotz Krise werde nicht bei Sozialleistungen gespart. «Wir werden
gegen diese Krise nicht ansparen und wir werden den Sozialstaat, der
uns so leistungsfähig durch diese Krise führt, nicht antasten,
sondern ausbauen», betonte der Finanzminister.

Ein Zeichen dafür sei die Grundrente, die Anfang 2021 in Kraft treten
soll. Scholz verteidigte auch seine Haushaltspläne: Die
vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer werde einen deutlichen
Impuls setzen, außerdem würden Familien und Kommunen unterstützt
sowie weitere Betriebe gerettet.

Der Bundestag will den zweiten Nachtragshaushalt mit einem Volumen
von 61,8 Milliarden Euro am Mittag beschließen. Den ersten
Nachtragsetat in Höhe von 156 Milliarden Euro zur Finanzierung
mehrerer Corona-Hilfspakete hatte das Parlament bereits Mitte März
beschlossen.

FDP und AfD nannten ihn allerdings verfassungswidrig. «Er verstößt
gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland», sagte
FDP-Fraktionsvize Christian Dürr. Der Bundesrechnungshof habe dem
Finanzminister ins Stammbuch geschrieben, dass der Nachtragshaushalt
wesentliche Verfassungsgrundsätze beeinträchtige. «Ich verstehe
nicht, warum die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hier zum Helfershelfers
eines möglichen Verfassungsbrechers wird.» Der FDP-Politiker
kritisierte, dass Scholz vor der Ausweitung der Neuverschuldung nicht
zuerst die milliardenschwere Haushaltsrücklage auflöse und zur
Finanzierung heranziehe.

Auch der CDU-Haushälter Eckhardt Rehberg sah die auf 43 Prozent
gestiegene Kreditfinanzierungsquote des Haushalts skeptisch. «Ich
weiß nicht, ob wir das auch im nächsten und übernächsten Jahr so
weitermachen können. Ich bezweifele das.» Rehberg mahnte für die
Zukunft «Maß und Mitte» an. Andreas Jung (CDU) nannte die mit den
neuen Schulden finanzierten Maßnahmen eine «Vitaminspritze für die
Zukunft unseres Landes». Die Tilgung dürfe nicht in die Zukunft
verschoben werden. «Diese Generation muss die Schulden wieder
zurückbezahlen», sagte der Finanzpolitiker.

AfD-Haushälter Peter Boehringer bezweifelte, dass die coronabedingten
weitgehenden Beschränkungen mit massiven Folgen für die Wirtschaft
überhaupt notwendig gewesen seien. «Eine epidemische Notlage von
nationaler Tragweite, welche die Einschränkung von Grundrechten sowie
des wirtschaftlichen Lebens gerechtfertigt hätte, bestand vermutlich,
vermutlich zu keinem Zeitpunkt, spätestens jedoch seit Mitte März
nicht mehr», sagte er. «Die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes wird

auf dem Altar von Annahmen und Spekulationen geopfert.»

Aus Sicht der Grünen sind die Pläne zum Anschub der Konjunktur
dagegen «besser als befürchtet», wie Haushälter Sven-Christian
Kindler einräumte. Das liege aber auch an den ohnehin niedrigen
Erwartungen an die große Koalition. Es sei trotzdem richtig, dass der
Staat große Kreditsummen aufnehme. Ein Aspekt fehle aber: «Es gibt
keinen großem Wumms für den Klimaschutz», kritisierte Kindler.

Grüne und Linke monierten zudem eine soziale Schieflage. Bei
Menschen, die in Armut lebten, komme vom Aufschwung wenig oder gar
nichts an, sagte Linken-Haushälterin Gesine Lötzsch. Beide Fraktionen
befürchteten zudem, dass nach der Bundestagswahl 2021 die wahre
Rechnung präsentiert werde: Die Gefahr sei groß, dass in den
kommenden Jahren an vielen Stellen gespart werde, nur damit die Union
wieder zur Schuldenbremse zurückkehren könne. «Wir brauchen ein
Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen und kein Zurück zur schwarzen
Null und zum Investitionsstau», forderte Kindler. Die von Scholz
geplante Tilgungsfrist von 20 Jahren ab 2023 sei viel zu kurz
gewählt.