Testen, testen, testen - aber wie genau? Von Simone Humml, Marco Hadem und Sascha Meyer, dpa

Um das Coronavirus in Zaum zu halten, kommt es aufs Spurensuchen bei
Infektionen an - auch mit mehr Tests. Der Bund hat Weichen dafür
gestellt. Bayern will aber noch mehr. Kann man auch zu viel testen?

Berlin/München (dpa) - Sie sind ein Kernpunkt der Corona-Strategie
made in Germany: Frühe Tests auf breiter Front, um dem Virus über
Ketten infizierter Menschen hinweg möglichst auf der Spur zu bleiben.
Eine neue Verordnung ermöglicht inzwischen schon bundesweit deutlich
mehr Tests auf Kassenkosten auch ohne Krankheitsanzeichen - besonders
in sensiblen Bereichen wie Kliniken, Pflegeheimen, Schulen und Kitas.
Doch geht da noch mehr? Bayern prescht vor und will generell Tests
für jedermann anbieten. Das stößt nicht bei allen auf Zustimmung.

Was für ein Testkonzept plant Bayern genau?

Die Details will das Landeskabinett an diesem Dienstag beschließen.
Im Kern fußt der Plan auf einer Vereinbarung mit der Kassenärztlichen
Vereinigung zum 1. Juli. Sie sieht vor, dass sich auch alle ohne
Symptome bei Praxisärzten testen lassen können. Daneben sollen
freiwillige Tests in Einrichtungen mit gefährdeten Personen etwa in
Pflege- und Altenheimen sowie Kliniken ausgebaut werden. Gleiches
gilt für Tests von Lehrern und Erziehern. Geplant ist auch eine
Test-Offensive in der Fleischbranche. «Wir warten nicht auf endlose
Gespräche zwischen einzelnen Kostenträgern, sondern wir gehen in
Vorleistung», sagt Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Wie können solche Massentests funktionieren?

Mit einer Laborkapazität von 21 000 Tests am Tag werden sich die rund
13 Millionen Menschen in Bayern natürlich nicht sofort testen lassen
können. Es ist aber auch nicht davon auszugehen, dass überhaupt alle
davon Gebrauch machen wollen. Zu Spitzenzeiten in den vergangenen
Monaten lag die Zahl der Tests nie über 18 000 pro Tag. Wer Symptome
hat, soll künftig innerhalb eines Tages getestet und binnen weiterer
24 Stunden sein Ergebnis erhalten. Ohne Symptome dauert es etwas
länger: ein Test in 48 Stunden und ein Ergebnis in einer Woche. Dabei
will der Freistaat Tests bezahlen, die nicht auf Kassenkosten gehen.
Kalkuliert wird zunächst mit einem dreistelligen Millionenbetrag.

Was halten Wissenschaftler von Tests für jedermann?

Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg sieht
die Möglichkeit, so ein Frühwarnsystem zu schaffen. Insofern machten
auch Tests in Dörfern Sinn, in denen es seit Wochen keine Infektionen
gab, sagte er ntv und RTL. Es gehe darum, Herde früh aufzudecken, um
schnell einzugreifen. Max Geraedts von der Universität Marburg hält
es dagegen für wichtiger, diejenigen, die mit Risikogruppen etwa in
Pflegeheimen, Krankenhäusern, Arztpraxen zu tun haben, regelmäßig zu

testen und Tests schnell auszuwerten. «Wenn alle getestet werden,
läuft man Gefahr, dass sich der Ergebnisbericht verzögert und
Kapazitäten, die für diese Gruppen nötig sind, ausgeschöpft sind.
»

Welche Risiken sehen die Forscher beim bayerischen Testkonzept?

Selbst gute Tests hätten laut Geraedts in rund einem Prozent der
Getesteten ein positives Ergebnis, obwohl keine Infektion vorliege
(falsch positiv). Dadurch könnten viele Menschen in Quarantäne gehen,

die eigentlich gesund sind - am Ende würden zum Beispiel Pflegekräfte

fehlen. Zudem könne es sein, dass der Test ein Prozent der
Infizierten nicht als solche erkennt. Von 100 in Wahrheit Infizierten
finde der Test dann 99. «Eine Person wird nicht entdeckt und denkt,
sie habe nichts.» Dann könne sie weiter ungeschützt andere
infizieren.

Einige Getestete könnten sich auch in falscher Sicherheit wiegen,
gibt Hans-Georg Kräusslich von der Universität Heidelberg zu
bedenken: «Negativ getestete Menschen sind nur zum Zeitpunkt des
jeweiligen Tests negativ, den Status von einer Woche zuvor oder einer
Woche danach kann der Test nicht erkennen.» Deswegen seien aus
epidemiologischer Sicht eher Tests bei speziellen Personen sinnvoll.

Wie ist die bundesweite Linie?

«Testen, testen, testen», sagt auch Bundesgesundheitsminister Jens
Spahn (CDU). Er fügt jedoch an: «Aber gezielt.» Denn einfach nur viel

zu testen, klinge gut, sei aber ohne systematisches Vorgehen nicht
zielführend. Konkret sollen vor allem Corona-Brennpunkte ins Visier
rücken - zum Beispiel grundsätzlich alle, die in Kliniken aufgenommen
werden. Gesundheitsämter und Ärzte können aber auch in weiteren
Fällen Tests ohne Symptome veranlassen: Für «Kontaktpersonen», die

mit Infizierten in einem Haushalt leben oder für längere Gesprächen
zusammen waren. Wenn die neue Corona-App sich meldet. Oder
Reihenuntersuchungen für alle in Einrichtungen wie Pflegeheimen,
Schulen und Kitas, wenn es einen Corona-Fall gab. So läuft es aktuell
auch für große Schlachthöfe.

Wie viel «Luft» bei Tests gibt es noch?

Die Kapazitäten sind im Laufe der Pandemie stark hochgefahren worden.
Spielraum ist also da, auch wenn wegen einiger lokaler Ausbrüche
wieder mehr getestet wurde. Mitte Juni waren es laut Berufsverband
Akkreditierte Labore in der Medizin 335 000 Tests in einer Woche,
aktuell möglich wären 910 000. Der Anteil positiver Tests stieg dabei
wieder auf 1,4 Prozent. Geregelt ist auch, dass Tests regelmäßig
wiederholt werden können - bei Personal in Kliniken und der Pflege
zum Beispiel einmal bei Tätigkeitsbeginn und dann alle zwei Wochen
wieder. Für Ärger bei Laboren sorgte da, dass sie für die inzwischen

zur Massenware gewordenen Tests weniger Vergütung bekommen sollen -
ab diesem Mittwoch noch 39,40 Euro statt mehr als 50 Euro pro Test.