Vor Lockdown-Entscheidung: Gespannte Blicke auf die Fallzahlen

Wie lange dauern die Einschränkungen in den Kreisen Gütersloh und
Warendorf noch an? Nachdem Warendorf bei einer wichtigen Marke schon
wieder im grünen Bereich ist, schauen nun alle nach Gütersloh.
Spätestens Dienstag muss eine Entscheidung fallen.

Gütersloh/Düsseldorf (dpa) - Nach dem bundesweit ersten regionalen
Lockdown zur Eindämmung des Coronavirus in zwei Kreisen von
Nordrhein-Westfalen schauen in der Region alle mit Spannung auf die
Entwicklung der Infektionszahlen. Der Kreis Gütersloh berichtete am
Samstagabend, die Zahl der nachweislich mit Sars-CoV-2 Infizierten,
die keinen direkten Bezug zur Tönnies-Belegschaft haben, sei zuletzt
merklich angestiegen. Grund dafür seien wohl vor allem die deutlich
umfangreicheren Tests, viele der Infizierten zeigten aber keine
Symptome. Vom 20. bis zum 26. Juni seien insgesamt 75 Fälle in der
übrigen Bevölkerung bekannt geworden. Das waren den Angaben zufolge
28 mehr als am Vortag berichtet.

Wenige Stunden zuvor hatte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann
(CDU) nach dem Besuch eines Testzentrums in Gütersloh davon
berichtet, dass bei rund 4100 Tests in der Allgemeinbevölkerung nur 9
Infektionen nachgewiesen worden seien. Dabei nannte er allerdings
keinen Zeitraum für diese Daten. Ein Ministeriumssprecher verwies
darauf, dass den Kreisen häufig früher Daten vorliegen als auf
Landesebene. Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) berichtete von
umfangreichen Kontrollen der Quarantäne und Hunderten Helfern für
Abstriche, Verpflegung und Transporte.

Nach den jüngsten Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) ist die
Kennziffer der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb der
vergangenen sieben Tage im Kreis Gütersloh zwar weiter rückläufig.
Sie liegt mit einem Wert von 164,2 mit Stand Samstag aber noch sehr
deutlich über der Marke von 50, die bei der Debatte über zusätzliche

Schutzmaßnahmen eine Rolle spielt. Im benachbarten Kreis Warendorf,
in dem ebenfalls viele Mitarbeiter aus dem Tönnies-Werk
Rheda-Wiedenbrück wohnen, ist die Kennziffer der Neuinfektionen pro
100 000 Einwohner innerhalb der vergangenen sieben Tage schon unter
die Marke 50 gesunken und liegt in der Relation nur noch bei 19,8
Fällen.

Spätestens am Dienstag muss über ein Auslaufen oder ein Verlängern
des Lockdowns in den beiden Kreisen entschieden werden, da dieser bis
zum 30. Juni gilt. Die erneuten Einschränkungen waren in den Kreisen
Gütersloh und Warendorf am Mittwoch in Kraft getreten. Betroffen sind
rund 640 000 Einwohner. Im öffentlichen Raum dürfen nur noch zwei
Menschen oder Menschen aus einem Familien- oder Haushaltsverbund
zusammentreffen. Zudem sollen eine Reihe von Freizeitaktivitäten
unterbleiben. Museen, Kinos, Fitnessstudios und Hallenschwimmbäder
müssen vorerst geschlossen bleiben. Vertreter der Kreise sprachen von
einem «Lockdown light», da Geschäfte und Restaurants weiter öffnen

dürften.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte erklärt, im Kreis
Gütersloh handele es sich um das bisher «größte Infektionsgeschehen
»
in NRW und in Deutschland. Bis zum 30. Juni werde man mehr Klarheit
haben, inwieweit sich das Virus womöglich auch bei Menschen, die
nicht bei Tönnies arbeiten, ausgebreitet habe. Die Behörden würden
die Tests in der Bevölkerung massiv ausweiten. Grund für den Schritt
war der Corona-Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies. Im Werk des
Marktführers im westfälischen Rheda-Wiedenbrück hatten sich mehr als

1500 Beschäftigte nachweislich mit dem Coronavirus infiziert.

Laumann sagte am Samstag im Interview mit dem Nachrichtensender ntv,
er gehe in den kommenden Tagen von weiteren Tausenden Testergebnissen
aus, aufgrund derer dann eine Entscheidung zu den Einschränkungen in
der Region getroffen werden solle.

In den vergangenen Tagen gab es in der Region einen großen Andrang
auf die Corona-Testungen. Viele Menschen, die in den Urlaub fahren
wollen, standen stundenlang Schlange, um an die Reihe zu kommen. Die
Sommerferien begannen im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW an
diesem Samstag.

Der Kreis Gütersloh teilte am Samstag mit, dass alle Wohnquartiere
der Tönnies-Mitarbeiter am Donnerstag und Freitag von den mobilen
Teams aus Ordnungsämtern und Polizei besucht worden seien, um die
Quarantäne zu überwachen. «Das ist ein Kraftakt, den die Mitarbeiter

aus den Städten und Gemeinden da gemeinsam mit der Polizei geschafft
haben, ich habe Respekt, wie schnell das ging, wir sind jetzt einen
Schritt weiter», erklärte Landrat Adenauer. Im Kreis Gütersloh seien

am Samstag Hunderte Beamte und Ehrenamtliche im Einsatz gewesen,
allein mehr als 200 Männer und Frauen der Hilfsorganisationen hätten
sich um Abstriche, die Verpflegung und Transporte gekümmert. Die
Bundeswehr ist nach Angaben des Kreises mit 245 Kräften vor Ort.

Nachdem bereits mehrere Bundesländer Einschränkungen für Reisende aus

einem Corona-Hotspot wie dem Kreis Gütersloh auf den Weg gebracht
hatten, gab es am Freitagabend eine Bund-Länder-Einigung dazu.

Die Länder werden nach dem Beschluss in den besonders betroffenen
Gebieten Vorsorge treffen, dass, so wörtlich, «Reisende aus einem
Landkreis oder einer kreisfreien Stadt mit kumulativ mehr als 50
Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern innerhalb der letzten 7 Tage
nur dann in einem Beherbergungsbetrieb untergebracht werden dürfen
beziehungsweise ohne Quarantänemaßnahme in ein Land einreisen dürfen,

wenn sie über ein ärztliches Zeugnis in Papier- oder digitaler Form
verfügen, welches bestätigt, dass keine Anhaltspunkte für das
Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 vorhanden
sind».

Thüringen kündigte jedoch am Samstag an, nicht mitzumachen und kein
solches Einreise- und kein Beherbergungsverbot zu erlassen. Da der
Kreis Gütersloh keine Aus- und Einreiseverbote erlassen habe, «werden
wir auch in Thüringen solche Einreiseverbote nicht vollziehen», sagte
Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke).