100 Gramm Huhn für 17 Cent? - Klöckner will Fleischmarkt umkrempeln Von Larissa Schwedes und Sascha Meyer, dpa

Ein verheerender Ausbruch im Schlachtbetrieb wirft ein Schlaglicht
auf eine Branche, in der die Missstände eigentlich bekannt waren.
Unter dem Druck der aktuellen Debatte lädt Agrarministerin Klöckner
die Branche zum Fleisch-Gipfel. Kritiker wittern reine Symbolpolitik.

Düsseldorf (dpa) - Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) dringt
auf grundlegende Veränderungen im Fleischmarkt, um den ständigen
Preiskampf und problematische Bedingungen zu unterbinden. «Es wird
keine zweite Chance geben für die gesamte Branche», sagte Klöckner
nach einem Treffen mit Branchen- und Verbandsvertretern am Freitag in
Düsseldorf. Die Corona-Krise mit dem großen Infektionsausbruch beim
Fleischproduzenten Tönnies sei wie ein Brennglas für das, was falsch
laufe. «Das, was wir heute behandelt haben, war keine Tönnies-Frage,
sondern eine System-Frage.»

Klöckner kündigte daher unter anderem an, Gesetzesverschärfungen zur

Preisgestaltung und Lebensmittelwerbung mit Lockpreisen zu prüfen.
«Wenn für 100 Gramm Hähnchen 17 Cent verlangt werden, dann kann da
kein Tierwohl und dann kann da auch kein Menschenwohl drin stecken.»

Hat es den Corona-Schock gebraucht, um die hinlänglich bekannten
Missstände der Branche endlich anzugehen? Klöckner streitet das
vehement ab. Man müsse die Aufmerksamkeit für das Thema nutzen - aber
sie habe schon lange zuvor eine Expertenkommission eingesetzt und
erklärt, für mehr Tierwohl kämpfen zu wollen. Allerdings gebe es fü
r
Tierwohl verbal zwar immer viel Zustimmung, aber dann hapere es oft
doch an der Kompromissbereitschaft.

Noch vor dem größten deutschen Corona-Ausbruch im Schlachtbetrieb
Tönnies, nämlich Ende Mai, hatte das Kabinett bereits Eckpunkte für
Neuregelungen beschlossen, um problematische Arbeitsbedingungen in
Schlachthöfen zu unterbinden. Kern ist ein weitgehendes Verbot von
Werkverträgen zum 1. Januar 2021 - also dass die komplette Ausführung
von Arbeiten bei Subunternehmern eingekauft wird. Arbeitsminister
Hubertus Heil (SPD) will im Sommer einen Gesetzentwurf vorlegen.

Zunächst hatte der Vorschlag für Kritik gesorgt, doch nun gaben
selbst die Unternehmer ihren Widerstand auf: Der Verband der
Fleischwirtschaft teilte am Freitag mit, das Gesetzesvorhaben der
Bundesregierung zu unterstützen. Erste Umsetzungen von
Mitgliedsunternehmen zeigten die Ernsthaftigkeit, mit der die Branche
eine Umkehr der bisherigen Praxis anstrebe und das System der
Werkverträge in der Schlachtung und Zerlegung beenden wolle. Auch der
aus der Quarantäne zugeschaltete Clemens Tönnies habe seine
Unterstützung zugesagt, berichtete Klöckner erfreut.

Der Großausbruch in Rheda-Wiedenbrück stellt nicht nur
Gesundheitsämter und Behörden vor Mammutaufgaben, sondern wirft auch
die Frage auf: Wo werden Zehntausende von Tieren geschlachtet,
solange der größte Schlachtbetrieb Deutschlands geschlossen bleiben
muss? «Die Fleischwirtschaft muss nun alle Kapazitäten ausschöpfen,
um schlachtreife Tiere auch zur Schlachtung bringen zu können»,
forderte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim
Rukwied. Hierbei brauche es extreme Flexibilität der regionalen
Betriebe, sagte NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser, die
gemeinsam mit Klöckner und ihrer Amtskollegin Barbara Otte-Kinast
(alle CDU) zum Fleisch-Gipfel eingeladen hatte. Man müsse sich auch
auf den Fall vorbereiten, dass es zu parallelen Ausbrüchen in
Schlachtbetrieben kommen könne.

Alle drei Ministerinnen betonten, man müsse «die ganze Kette» in den

Blick nehmen, wenn man etwas verändern wolle. Landwirte müssten
Ställe umbauen, damit Tiere mehr Platz hätten, auch darüber besteht
Einigkeit. Doch wo soll das Geld dafür herkommen? Klöckner sprach
sich zuletzt für eine Tierwohlabgabe aus, die eine Expertenkommission
vorgeschlagen hatte. Denkbar wären über eine Verbrauchsteuer
Aufschläge von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst, 2 Cent pro
Kilo für Milch und Frischmilchprodukte.

Darüber nun wolle sie mit den Partei- und Fraktionsspitzen im
Bundestag sprechen, kündigte Klöckner an. Dazu sei ein übergreifender

Konsens nötig. Wie schnell ein solches Projekt umsetzbar ist, bleibt
fraglich. Das sei kein Thema für eine Legislaturperiode, betonte die
Ministerin, sagte aber auch: «Wir sind so weit wie noch nie.» Zudem
warb sie erneut für ein freiwilliges Tierwohl-Logo für Fleisch aus
besserer Haltung.

Tierschützer und Opposition kritisierten die Ankündigungen als wenig
konkret, nicht weitgehend genug und sind skeptisch, ob den Worten
auch Taten folgen werden. Der Bundesverband des Deutschen
Lebensmittelhandels wehrte sich gegen Kritik, die «einseitig und
pauschal» auf Preiswerbung abziele. Die Branche sei sich ihrer
Verantwortung für nachhaltigen Konsum bewusst. Der Deutsche
Gewerkschaftsbund (DGB) hatte den Gipfel schon im Vorfeld als
«Show-Veranstaltung» deklariert. Wie schnell den Worten Taten folgen,
ist abzuwarten. Immerhin scheint sich der Großteil der Bevölkerung
Konsequenzen zu wünschen: Dem aktuellen ZDF-Politbarometer zufolge
würden 92 Prozent der Bürger schärfere Gesetze für die Fleischbranc
he
befürworten - selbst wenn das steigende Preise bedeuten würde.