Oxford-Forscherin: Gefahr trotz Erfolg der Corona-App nicht vorbei

Wissenschaftler in Oxford haben untersucht, wie viele Menschen eine
Corona-Warn-App einsetzen müssen, damit sie einen Effekt hat. Eine
Forscherin aus dem Team lobt die App aus Deutschland, warnt aber vor
Nachlässigkeiten im Kampf gegen die Pandemie.

Oxford/Berlin (dpa) - Die Menschen in Deutschland sollten trotz des
erfolgreichen Starts der Corona-Warn-App bei ihren Vorsichtsmaßnahmen
gegen die Pandemie nicht nachlassen - darauf hat die renommierte
Immunologin Lucie Abeler-Dörner vom Nuffield Department of Medicine
der Universität Oxford am Freitag hingewiesen. «Die Ausbrüche in
Gütersloh und Göttingen zeigen, dass die Gefahr noch nicht vorbei
ist, und dass es wichtig ist, Ausbrüche so schnell wie möglich zu
erkennen.»

Abeler-Dörner hatte zusammen mit anderen Forscherinnen und Forschern
in einer Studie simuliert, wie eine Kontaktverfolgungs-App gegen die
Ausbreitung des Coronavirus helfen kann. Dabei kamen sie zum Schluss,
dass eine Tracing-Anwendung dann anfängt zu wirken, sobald mindestens
15 Prozent der Bevölkerung mitmachen. Dann könnten Infektionsketten
unterbrochen und Ansteckungen verhindert werden. Ohne jede weitere
Schutzmaßnahme wie Atemschutzmasken oder Sicherheitsabstand wären 60
Prozent notwendig, um einen signifikanten Effekt zu zeigen.

Die Zahl der Downloads der deutschen Corona-Warn-App stieg am Freitag
auf 13,3 Millionen an, das entspricht 16 Prozent der Bevölkerung.

Vor dem Hintergrund des Streits in Großbritannien um ein geeignetes
Konzept einer Tracing-App sagte die Forscherin, unabhängig vom
verwendeten System hänge der Erfolg einer App vor allem davon ab, wie
viele Leute in einer Region mitmachen. «Die deutsche App hatte einen
wirklich guten Start. Ich hoffe, dass mit jedem neuen Nutzer ein
weiterer Nutzer dazu inspiriert wird, die App herunterzuladen und
seine Freunde und Familie zu schützen.» Die deutsche App sei auf dem
besten Weg, bei der Erkennung der Ausbrüche einen Beitrag zu leisten.

In Großbritannien hatte die Regierung vor gut einer Woche einen
Testlauf des nationalen Gesundheitsdienstes NHS gestoppt, eine eigene
Tracing-App zu entwickeln. Die NHS-App setzte nicht auf dem
technischen Fundament von Apple und Google auf. Das machte sie vor
allem auf dem iPhone von Apple quasi unbrauchbar, weil die App dort
nicht im Hintergrund laufen darf, um Bluetooth-Signale auszutauschen.

Die NHS-App sendete alle 20 Sekunden Signale aus, während die
Corona-Warn-App des Robert Koch-Instituts nur alle zweieinhalb bis
fünf Minuten funkt. Bei dem britischen Testlauf konnte deshalb die
Dauer eines Kontaktes vergleichsweise genau bestimmt werden.
Gleichzeitig belastete die NHS-Anwendung den Akku der Smartphones
viel stärker als die deutsche App.

Am Dienstag hatten sich deswegen Premier Boris Johnson und der
Labour-Vorsitzende Keir Starmer im britischen Unterhaus einen
verbalen Schlagabtausch geliefert: Johnson fragte den
Oppositionsführer ob er «ein einziges Land» nennen könne, dass üb
er
eine «zweckmäßige Kontakt-Nachverfolgungs-App» verfüge. Der
Labour-Chef antwortete spontan: «Deutschland!»

Der deutsche Botschafter in London, Andreas Michaelis, teilte am
Freitag auf Twitter mit, er habe sich mit dem britischen
Gesundheitsminister Matt Hancock getroffen, um über eine mögliche
Zusammenarbeit zu sprechen. «Die Experten haben ihre Kontakte
intensiviert und wollen gemeinsam vorankommen», heißt es in seinem
Tweet.