Gütersloher nicht willkommen? Angst vor Stigma nach Corona-Ausbruch Von Stella Venohr, dpa

Übernachtungsverbote und Empfehlungen, zuhause zu bleiben - der
Corona-Ausbruch bei Tönnies wird zum Stigma für Hunderttausende.
Menschen aus den Kreisen Gütersloh und Warendorf fühlen sich nicht
mehr willkommen. Sie bangen um ihren Urlaub.

Gütersloh/Osnabrück (dpa) - Kai Drees ist genervt: «Wir fühlen uns

schon als Unschuldige, schließlich gibt es außerhalb von Tönnies kaum

Infizierte», sagt der Rechtsanwalt aus Steinhagen im Kreis Gütersloh.
Er habe Verwandtschaft in Niedersachsen und sei nun unsicher, wie es
mit Besuchen funktionieren solle. Gütersloh - das ist zusammen mit
dem Nachbarkreis Warendorf in diesen Tagen der Corona-Hotspot in
Deutschland. Die rund 640 000 Menschen, die dort leben, bekommen das
gerade hautnah zu spüren.

Mehrere Bundesländer hatten in den vergangenen Tagen
Beherbergungsverbote für Besucher aus den Kreisen Gütersloh und
Warendorf beschlossen. In Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen
dürfen Menschen aus den Corona-Risikogebieten nur einreisen, wenn sie
belegen können, dass sie innerhalb von 48 Stunden vor der Einreise
einen Corona-Test gemacht haben. Auch in Schleswig-Holstein und
Rheinland-Pfalz gilt dies - andernfalls müssen die Betroffenen
unverzüglich nach der Einreise in ihre Wohnung oder in eine andere
geeignete Unterkunft, um sich dort 14 Tage lang zu isolieren. Auch in
Baden-Württemberg und Bayern gibt es Beherbergungsverbote.

«Der Lockdown ist der Super-Gau», sagt Thorsten Reinert. Der
50-Jährige aus Gütersloh hat sich mit seinem neunjährigen Sohn Ric im

Diagnosezentrum auf das Virus testen lassen: «Wir fahren am Freitag
an die Ostsee in den Urlaub und wollen da einen negativen Test in der
Hand haben, falls wir sonst nicht hingelassen werden.»

Heide und Dieter Gretzke aus Warendorf sind bereits von ihrem
Campingplatz in Rügen abgewiesen worden. «Wir sind bis Hamburg
gekommen, da haben wir einen Anruf von unserem Campingplatz erhalten,
dass wir nur hereingekommen, wenn wir einen negativen Test
mitbringen», so die 78-Jährige. «Die kennen uns da doch alle. Wir
sind da zuhause.» Ihr Mann und sie mussten zurückfahren und sich in
Oelde testen lassen. «Jetzt warten wir auf das Ergebnis», sagt Heide
Gretzke. «Unsere Koffer sind gepackt im Auto, die lassen wir da
auch.» Sobald die negativen Ergebnisse vorliegen, will das Ehepaar
schließlich wieder losfahren.

Der niedersächsische Landkreis Osnabrück appelliert an die Menschen
aus den Nachbarregionen Gütersloh und Warendorf, bis zum 30. Juni auf
nicht zwingend notwendige Reisen über die Kreisgrenze zu verzichten.
Besuchern aus Gütersloh und Warendorf ist es zudem untersagt, im
Kreis und in der Stadt Osnabrück Freizeitanlagen oder Veranstaltungen
wie Konzerte, Theateraufführungen oder Kinovorstellungen zu besuchen.
Auch der Besuch von Museen, Kunstausstellungen, Galerien, Schlössern,
Burgen, Gedenkstätten und ähnlichen Einrichtungen in geschlossenen
Räumen ist verboten.

Die Menschen im Kreis Osnabrück sehen diese Anordnungen zum Teil
kritisch. «Ich finde, die sollen kommen dürfen», sagt die 72-jährig
e
Elfriede Witte aus Bad Rothenfelde. «Die müssen doch unter Menschen
können.» Außerdem würden die Kurorte wie Bad Rothenfelde von dem
Tourismus aus den anderen Kreisen profitieren.

Auch Ute Hinrichsen aus Hilter (Kreis Osnabrück) findet die Maßnahmen
übertrieben. «In Cafes und Eisdielen hätte ich kein Problem, wenn
Leute aus Gütersloh oder Warendorf neben mir sitzen würden», so die
41-Jährige. «An deren Stelle hätte ich vielleicht ein bisschen Angst

davor, dass ich da ausgegrenzt werde oder auf boshafte Stimmung
stoße.»

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte bereits davor
gewarnt, Menschen aus dem Kreis Gütersloh unter «Pauschalverdacht» zu

stellen. Man dürfe die Bewohner des Kreises «nicht stigmatisieren».

«Das hat ja schon fast was von sozialer Ächtung», sagt auch der
Psychologe und Psychotherapeut Tillmann Krüger von der Medizinischen
Hochschule Hannover: «Das ist natürlich schon massiv, wenn man da als
Urlaubsgast wegen der Herkunft zurückgeschickt wird.» Der Psychologe
spricht sich dafür aus, das richtige Maß zu finden - zwischen
Eindämmung des Virus und dem Verhindern einer Vorverurteilung.

Der Landrat Stephan Pusch aus dem anfangs stark von Corona
betroffenen Kreis Heinsberg sprach den Güterslohern und Warendorfern
seine Solidarität aus. «Bleibt in Deutschland, der Kreis Heinsberg
steht für euch offen», so Pusch in einem WDR-Interview. Er wisse, was
es heiße, wenn die Welt plötzlich auf einen gucke und mit erhobenem
Zeigefinger auf einen zeige. Im Gespräch mit der Deutschen
Presse-Agentur gibt er den Menschen in den beiden Kreisen noch den
Rat: «Wir haben uns hier im Kreis Heinsberg ein bisschen solidarisch
untergehakt und untereinander zusammengehalten.» Das helfe
psychologisch in so einer Situation.