Wie gut ist das Covid-19-Medikament Remdesivir? Von Christoph Driessen, dpa

Erstmals wird ein Medikament gegen Covid-19 in der EU zugelassen. Es
könne schwerkranken Patienten helfen, sagt ein Experte. Doch die USA
haben sich einen Großteil der Produktion gesichert.

Köln (dpa) - Erstmals hat die EU-Kommission ein Medikament gegen die
Lungenkrankheit Covid-19 zugelassen. Die Staaten folgen damit der
Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA, die am 25. Juni eine
Genehmigung unter Auflagen empfohlen hatte. Doch Remdesivir -
Handelsname Veklury - ist durchaus umstritten.

WAS IST REMDESIVIR?

Das Mittel der US-Pharmafirma Gilead Sciences wurde ursprünglich zur
Behandlung der Viruserkrankung Ebola entwickelt, aber nie für diesen
Einsatz zugelassen. Später gab es Hinweise darauf, dass es gegen
Coronaviren wirken könnte. Remdesivir wird per Infusion verabreicht
und hemmt ein Enzym der Viren, das für deren Vermehrung nötig ist.

WIE IST DIE STUDIENLAGE?

Es wurden mehrere Studien zu Remdesivir veröffentlicht, aber aus
vielen ließen sich kaum Schlüsse auf eine Wirksamkeit ziehen. Im Mai
präsentierte ein internationales Team jedoch erste positive
Ergebnisse im «New England Journal of Medicine» («NEJM»). Rund die

Hälfte der 1063 Probanden bekam Remdesivir. Die andere kam in die
Kontrollgruppe.

WELCHE ERFOLGE KANN REMDESIVIR VERZEICHNEN?

«Wir haben nachgewiesen, dass das Medikament bei einer
Covid-19-Erkrankung den schweren Verlauf abmildert und die
Krankheitsphase um etwa vier Tage verkürzt», sagt der an der Studie
beteiligte Infektiologe Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln der
Deutschen Presse-Agentur. Die Patienten mit Remdesivir hatten eine
Genesungszeit von 11 Tagen, die der Kontrollgruppe von 15. Remdesivir
sei insgesamt sehr gut verträglich, sagt Fätkenheuer. Die Studie
verzeichnete in der Kontrollgruppe sogar mehr Nebenwirkungen als bei
Patienten mit Remdesivir. In beiden Gruppen starben jedoch Menschen
am Coronavirus. Die Autoren schreiben im «NEJM», die Gabe antiviraler
Mittel alleine reiche wahrscheinlich nicht zur Therapie aus.

GIBT ES KRITIK AN EINER ZULASSUNG?

Ja. Der namhafteste Kritiker in Deutschland ist Uwe Janssens,
Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv-

und Notfallmedizin (DIVI). Er betont, bisher gebe es keinen
publizierten Beleg dafür, dass Remdesivir die Sterblichkeit senke.
«Es gibt keine Evidenz dafür, dass wir hier Leben retten.»
Erfolgreiche Behandlung bedeute für ihn unter anderem auch
substanzielle Sterblichkeitsreduktion. Und die sei nach derzeitigem
Stand nicht gegeben. «Es fehlen definitiv valide und verlässliche
Langzeitergebnisse für Covid-19-Patienten», betont Janssens zudem.
«Und prinzipiell würden wir uns in der Intensivmedizin wünschen, dass

solche Studienergebnisse durch eine weitere Studie bestätigt werden.»

Fätkenheuer weist die Kritik zurück: «Wenn man liest «vier Tage
weniger krank gewesen», sagt man vielleicht: Naja, was soll's? Macht
das soviel aus? Aber es ist natürlich ein himmelweiter Unterschied,
ob jemand auf die Intensivstation kommt und künstlich beatmet wird,
oder ob ihm das erspart bleibt. Und das kann von diesem Medikament
abhängen, solche Fälle haben wir in der Studie gehabt.»

WER SOLL MIT REMDESIVIR BEHANDELT WERDEN?

Das Mittel sei in der Studie sowohl bei leichter wie bei schwer
erkrankten Patienten getestet worden, berichtet Fätkenheuer. Die
Studie habe gezeigt, dass vor allem Patienten in einer frühen Phase
der Krankheit von Remdesivir profitierten.

WIRD DAS MITTEL IN DEUTSCHLAND VERFÜGBAR SEIN?

Die USA haben sich zwar einen Großteil der bis September anvisierten
Produktionsmenge von Remdesivir gesichert. Deutschland hat sich nach
Auskunft des Gesundheitsministeriums frühzeitig Remdesivir-Vorräte
gesichert. Es gebe derzeit noch genug Reserven. Er erwarte von dem
US-Hersteller nach der Zulassung, «dass Deutschland und Europa
versorgt werden, wenn es um ein solches Medikament geht», sagte
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag im
ZDF-«Morgenmagazin».

Haupt-Produktionsstandort von Remdesivir ist La Verne in Kalifornien.
«Allerdings haben wir unsere eigene Herstellung durch erhebliche
zusätzliche Kapazitäten von mehreren Produktionspartnern in
Nordamerika, Europa und Asien ergänzt», erläuterte der Sprecher von
Gilead in Deutschland, Martin Flörkemeier. Gilead habe auch
Lizenzvereinbarungen mit neun Generikaherstellern in Ägypten, Indien
und Pakistan abgeschlossen. Es habe die Produktion bereits erheblich
gesteigert, sie könne bei einem großen Ausbruch jedoch nicht rasch
weiter hochgefahren werden.

WAS KOSTET DAS MEDIKAMENT?

Eine fünftägige Behandlung mit Remdesivir wird nach
Unternehmensangaben bei Bestellung durch die US-Regierung 2340 Dollar
(etwa 2000 Euro) pro Patient kosten. Dieser Nettobetrag sei auch für
Deutschland geplant, versicherte Flörkemeier. Die Kosten werden in
Deutschland von den Kassen bezahlt. Der Forscher Fätkenheuer
kritisierte den Preis als «enorm hoch». «Ich würde schon erwarten,

dass gesamtgesellschaftliche und ethische Gesichtspunkte bei einem
Medikament wie Remdesivir eine Rolle spielen», sagte der Infektiologe
dem «Kölner Stadt-Anzeiger» (Donnerstag).