«Was anderes als Tennisbälle im Kopf?» - Ton der Debatte schärfer Von Wolfgang Müller, dpa

Das Land, in dem in zwei Monaten die US Open der Tennisprofis
stattfinden sollen, meldet wieder alarmierende Zahlen an
Coronavirus-Infektionen. Die Folgen der Adria-Tour werden weiter
heftig debattiert - in der Tennis-Szene brodelt es gewaltig.

Berlin (dpa) - Die desaströse Adria-Tour mit mindestens vier
infizierten Tennisprofis sorgt weiter für hitzige Debatten und
harsche Kritik auch an Deutschlands Nummer eins Alexander Zverev. Der
erhoffte Neustart mit noch zwei Grand-Slam-Turnieren in diesem Jahr
erscheint alles andere als gewiss. Nachdem der heftig attackierte
Organisator Novak Djokovic zuletzt von aktuellen und alten
Weggefährten auch Unterstützung erhalten hatte, verschärfte sich am
Donnerstag bei Protagonisten der Tennis-Szene wieder der Tonfall.

Die aktuellen Meldungen aus den USA passten da nur allzugut ins
Stimmungsbild: Nach einer Phase der Entspannung breitet sich das
Coronavirus in dem Land, in dem Ende August die US Open ausgetragen
werden sollen, wieder in alarmierendem Maße aus. Die USA
verzeichneten am Dienstag mit rund 34 700 neuen Infektionen einen
weiteren Höchststand, wie am Mittwoch aus Daten der
Johns-Hopkins-Universität in Baltimore hervorging.

Mit mehr als 2,3 Millionen bekannten Corona-Infektionen haben die USA
mehr nachgewiesene Fälle als jedes andere Land der Welt. Mehr als
121 000 Menschen starben infolge einer Covid-19-Erkrankung. Die
Zweifel an den Plänen des amerikanischen Tennisverbandes USTA, das
Grand-Slam-Event durchziehen zu wollen, dürften wieder zunehmen.

Ex-Profi Nicolas Kiefer fürchtet vor allem durch das Fiasko bei der
Adria-Tour «weitreichende Folgen». Der 42-Jährige sieht auch die
geplante Wiederaufnahme mit dem Turnier in Washington Mitte August
und die anschließend geplanten US Open und French Open in Gefahr. Die
Infektionen mit dem Coronavirus der Profis Djokovic, Borna Coric,
Grigor Dimitrow und Viktor Troicki seien «ein klares Signal und eine
Warnung an die ATP-Tour», sagte Kiefer «t-online.de» und fragte: «D
ie
French Open sollten ja eigentlich vor Zuschauern gespielt werden.
Wird das Risiko gerade nach diesen Ereignissen nicht zu hoch sein?»

Und auch für die US Open sieht der frühere Davis-Cup-Spieler massive
Probleme. «Alle Reisebeschränkungen müssen bis dahin aufgehoben
werden - ansonsten wäre es Wettbewerbsverzerrung. Es bleibt mir ein
Rätsel, wie die USTA das bewältigen möchte», sagte Kiefer.

Wie angespannt die Lage im Herrentennis derzeit ist, unterstreichen
auch Aussagen von Herwig Straka, Mitglied im ATP-Vorstand,
Turnierdirektor von Wien - und zudem Manager des
Weltranglisten-Dritten Dominic Thiem, der wie Zverev auch bei der
Adria-Tour an den Start gegangen war. Mit Worten wie «dumm» und
«Blödsinn» oder einer klaren Schuldzuweisung an Organisator Djokovic

sorgte der 54-Jährige nicht gerade für verbale Abrüstung.

«Ich muss Djokovic die Hauptschuld geben», sagte Straka in einem am
Donnerstag veröffentlichten Interview der österreichischen Zeitung
«Standard» und ergänzte: «Okay, die anderen haben mitgemacht, aber
er
war sehr dahinter. Ursprünglich aus ehrenwerten Motiven, es stand der
Charity-Gedanke im Zentrum. Aber es ist in eine völlig falsche
Richtung gegangen, wurde als Publicity-Show missbraucht. Das muss man
Djokovic anlasten.» Er sprach von einer «unnötigen Veranstaltung»,

nahm jedoch die mitwirkenden Spieler weitgehend in Schutz.

Im Gegensatz zu Kiefer. «Man muss sich schon an den Kopf fassen und
sich fragen, was sich ein Zverev, ein Thiem und noch viele andere
Spieler bei solch einem Auftritt gedacht haben», sagte er. «Zverev
und Thiem sind doch eigentlich gut beraten. Warum sagt niemand im
Vorfeld: «Schöne Einladung, aber Ihr fliegt da nicht hin!»?», sagte

der frühere Weltranglisten-Vierte. «Wenn die beiden Top-Ten-Spieler
dann aber so naiv sind und doch teilnehmen, muss man wirklich einmal
hinterfragen, ob die noch was anderes als Tennisbälle im Kopf haben.»

Thiem zeigte sich via Instagram inzwischen geschockt über die
Nachrichten von der Adria-Tour. «Wir waren zu optimistisch», bekannte
er. «Unser Verhalten war ein Fehler, wir haben zu euphorisch agiert.»
Der Weltranglisten-Dritte wurde nach eigenen Worten fünfmal in den
vergangenen zehn Tagen getestet - das Ergebnis war immer negativ.