Nach Corona-Flaute suchen mehr Suchtkranke Hilfe bei Beratungsstellen

Sie kennen keinen Ausweg mehr. Für viele Drogenabhängige sind die
Suchtberatungsstellen im Land ein rettender Strohhalm. Die
Corona-Zeit hat die Arbeit in den Beratungen verändert - und das
Suchtverhalten einiger Abhängiger.

Magdeburg (dpa/sa) - Die Suchtberatungsstellen in Sachsen-Anhalt
haben nach einer coronabedingten Flaute wieder mehr Kontaktanfragen
von Hilfesuchenden. «Anfangs gingen die Anfragen sehr zurück», sagte

die Leiterin der Landesstelle für Suchtfragen in Sachsen-Anhalt,
Helga Meeßen-Hühne, in Magdeburg. Die Berater und Beraterinnen seien
zwar per E-Mail und telefonisch zu erreichen gewesen, aber in den
ersten sechs Wochen nach Beginn der Beschränkungen habe es spürbar
weniger Anfragen gegeben. «Danach nahmen zuerst die Anrufe von Eltern
zu, die sich Sorgen um den Medienkonsum ihrer Kinder machten», so die
Suchttherapeutin. Mittlerweile würden sich auch wieder Menschen mit
Alkohol- und Drogenproblemen an die Beratungsstellen wenden.

In Sachsen-Anhalt stehen die Berater und Beraterinnen der insgesamt
36 Anlaufstellen seit Jahren Suchtkranken und deren Angehörigen mit
Rat und Tat beiseite. Probleme und die Folgen eines suchthaften
Alkoholkonsums oder die Auswirkungen von Cannabis und Stimulanzien
wie Crystal trieben besonders viele Hilfesuchenden in die
Anlaufstellen, wie Meeßen-Hühne erklärte.

Auffällig sei, dass sich während der Coronazeit das Suchtverhalten
einiger Betroffener verändert habe. «Einige Crystalabhängige sind
scheinbar auf Heroin umgestiegen - das berichten einige
Krankenhäusern», sagte Meeßen-Hühne. Über die Gründe könne si
ch nur
mutmaßen lassen. So sei nicht auszuschließen, dass es wegen der
vorübergehend geschlossenen Grenzen zu Ländern, aus denen Crystal
sonst illegal eingeführt werde, schlechteren Zugang zu der auch unter
dem Namen Methamphetamin bekannten Droge gab. Andere Drogen wurden
daher als Ersatz konsumiert.

Auch die Probleme mit Alkohol hätten bei einigen Betroffenen während
der Coronazeit wieder zugenommen. Auch hierfür gebe es viele
Erklärungsansätze, so Meeßen-Hühne. Möglicherweise sei wegen der

zeitweise geschlossenen Kneipen der Alkoholkonsum in die eigenen vier
Wände verlagert worden. Abgeschirmt von der Außenwelt sei das
Konsumverhalten außer Kontrolle geraten. Möglicherweise kritisierten
Angehörige verstärkt das Trinkverhalten und machten Betroffenen
bewusst, dass sie Hilfe suchen müssten.

Die Berater und Beraterinnen seien in den vergangenen Monaten deshalb
selbst aktiv auf die Betroffenen zugegangen, zu denen bereits Kontakt
bestanden habe. «Sie haben angerufen und Angebote gemacht», erklärte

Meeßen-Hühne. Die Corona-Zeit sei für viele Suchtkranke besonders
schlimm gewesen. Es sei schwerer eine Suchterkrankung etwa vor der
Familie zu verbergen oder mit Entzugserscheinungen umzugehen.
Abhängige litten noch häufiger unter Einsamkeitsgefühlen als andere.


In der Regel führe der Drogenmissbrauch zu einer ganzen Reihe von
Problemen: Die Abhängigen hätten Schwierigkeiten in der Arbeit,
würden möglicherweise ihren Job verlieren, in Beziehungen gebe es
Konflikte, einige würden wegen der Schulden, die der Drogenkonsum mit
sich bringen könnte, ihre Wohnung verlieren. Zudem würden Drogen -
abhängig von der Art - körperliche Beeinträchtigungen wie
Wahrnehmungsstörungen, Vergesslichkeit und Organschäden verursachen.

Die Beratungsstellen im Land betreuen jährlich Tausende Suchtkranke -
zum überwiegenden Teil Männer. So waren beispielsweise rund drei
Viertel der 5345 Klienten, die sich 2018 wegen einer Alkoholsucht
beraten ließen, Männer. Von den 131?3 Hilfesuchenden, die wegen einer
Cannabissucht kamen, waren rund vier Fünftel der Betroffenen
männlich. Nur bei Problemen mit Hypnotika wie Schlafmitteln suchten
2018 mehr Frauen Hilfe. Insgesamt waren 24 Frauen unter den 42
Betroffenen. Zahlen von 2019 liegen noch nicht vor.

Den Angaben zufolge stehen die Erfolgsaussichten bei einer
Suchterkrankung gut, verglichen mit anderen chronischen Erkrankungen:
Laut aktueller Statistik der Suchtberatungsstellen verbessert sich
der Zustand von 56 Prozent Ratsuchenden bis zum Betreuungsende. Den
Angaben zufolge sind die Beratungen kostenlos, vertraulich und auf
Wunsch anonym. Darüber hinaus ebnen Suchtberatungsstellen den Weg in
die Suchtselbsthilfe und in weitere spezialisierte Behandlung, so
Meeßen-Hühne.

Nach Angaben des Landesverwaltungsamts gibt es in Sachsen-Anhalt
derzeit 36 anerkannte Suchtberatungsstellen mit verschiedenen
Angeboten. Einige bieten Hilfen zu suchthaftem Trinkverhalten oder
Präventionsprogramme an. Die Anlaufstellen werden von den Landkreisen
und kreisfreien Städten gefördert. Am Freitag ist der internationale
Tag gegen den Drogenmissbrauch.