Corona-Ausbruch im Kreis Gütersloh - Urlaubsländer schotten sich ab

Mehr als 1500 Corona-Infizierte beim Fleischkonzern Tönnies - das
schreckt nicht nur die Behörden im Kreis Gütersloh auf. Vor allem
klassische Urlaubsländer fürchten, dass die Infizierten zu ihnen
kommen. Am Wochenende beginnen in NRW die Sommerferien.

Düsseldorf/Berlin (dpa) - Nach dem massiven Corona-Ausbruch im Kreis
Gütersloh wächst unmittelbar vor Beginn der Sommerreisesaison die
Sorge vor einer Verbreitung des Virus auch in anderen Bundesländern.
Einige schotten sich daher zunehmend ab. Auch Niedersachsen kündigte
am Mittwoch ein Beherbergungsverbot für Touristen aus der Region an,
die keinen negativen Corona-Test vorweisen können. Bayern und
Schleswig-Holstein brachten bereits angekündigte Einschränkungen auf

den Weg. Nach einer Telefonkonferenz der Ländergesundheitsminister
zeichnete sich keine bundesweit einheitliche Regelung ab.

Der Ausbruch beim Fleischkonzern Tönnies schlägt Wellen bis ins
Ausland. So sprach Österreich eine Reisewarnung für
Nordrhein-Westfalen aus. Obendrein gibt es Überlegungen im
Gesundheitsministerium in Wien für ein Landeverbot für Maschinen aus
Nordrhein-Westfalen in Österreich. Das berichteten der Sender RTL
sowie weitere Medien. Nach dpa-Informationen ist eine Entscheidung
aber noch nicht gefallen. Die Einreisebestimmungen für Deutsche -
auch für die Menschen aus Nordrhein-Westfalen - ändern sich nach der
Reisewarnung nicht.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) verteidigte im Landtag sein
Krisenmanagement gegen die Kritik der Opposition, die ihm
Führungsschwäche vorwarf.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) rief Bundes- und
Landesbehörden zur Zusammenarbeit auf, um die Ausbreitung der
Infektionen zu verhindern. «Das ist etwas, was uns mit großer Sorge
umtreibt», sagte er nach der Kabinettssitzung in Berlin. «Deshalb
müssen wir auch ein Auge auf andere Standorte der Fleischindustrie
haben.» Gemeinsam und konzertiert müsse man eine zweite Welle der
Pandemie verhindern.

Die Bundesregierung unterstrich die Zuständigkeit der Länder für das

Krisenmanagement in der Pandemie. Diese hätten zu entscheiden, ob die
Auflagen verschärft werden müssten oder nicht, sagte die
stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Mittwoch in
Berlin. Die Zuständigkeiten blieben auch jetzt die gleichen.

In mehreren Bundesländern, darunter auch in Nordrhein-Westfalen,
beginnen an diesem Wochenende die Sommerferien. Aus Furcht vor einer
Ausbreitung des Virus wurden an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern
bereits Urlauber aus der Region Gütersloh abgewiesen oder
aufgefordert, vorzeitig abzureisen. NRW-Ministerpräsident Laschet
warnte davor, Urlauber aus dem Kreis zu stigmatisieren. «Ich stelle
mich vor die Menschen in Gütersloh», sagte er im Landtag. Außerhalb
der Beschäftigten in der Fleischindustrie sei bisher nur eine kleine
Zahl von Fällen bekannt.

In einem Schlachtbetrieb des Tönnies-Konzerns hatten sich mehr als
1550 Beschäftigte nachweislich mit dem Coronavirus infiziert. Die
Behörden hatten daraufhin im Kreis Gütersloh und im Nachbarkreis
Warendorf das öffentliche Leben massiv eingeschränkt. Betroffen sind
rund 640 000 Menschen, für die nun wieder strengere
Kontaktbeschränkungen gelten. Es ist allerdings nicht verboten, die
beiden Kreise zu verlassen.

Mit Corona-Massentests in den beiden Kreisen will die Landesregierung
nun bis Ende der Woche Erkenntnisse über die Verbreitung des Virus
erhalten. Man wolle wissen, «ob das Virus in andere Teile der
Bevölkerung übergesprungen ist», sagte Gesundheitsminister Karl-Josef

Laumann (CDU) im Düsseldorfer Landtag. Bei der freiwilligen
Massentestung der Bewohner des Kreis Gütersloh in Nordrhein-Westfalen
ist zunächst kein weiterer Infizierter gefunden worden. Von den
ersten 230 Befunden sei noch ein Ergebnis fraglich, alle anderen
seien negativ, sagte Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU).

Auch Niedersachsen hat ein Problem: Dort wurden nach dem Start eines
Corona-Massentests unter Mitarbeitern einer Putenschlachterei des
Wiesenhof-Konzerns in Wildeshausen bereits 35 Infizierte ausfindig
gemacht. Bis Mittwochnachmittag wurden nach Unternehmensangaben 341
Menschen getestet.

Schleswig-Holstein will Reisende aus Corona-Hotspots künftig in eine
zweiwöchige Quarantäne schicken. Ausnahmen gibt es nur, wenn ein
aktueller negativer Test vorliegt. Auch andere Bundesländer hielten
Regelungen wie im Norden für notwendig, sagte ein Sprecher des
Gesundheitsministeriums in Kiel der Deutschen Presse-Agentur. Als
Corona-Hotspot gelten für das Bundesland Gebiete mit mehr als 50
Neuinfektionen je 100 000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen.

Die Regelung in Schleswig-Holstin tritt an diesem Donnerstag in
Kraft. Vom selben Tag an gilt in Bayern ein Beherbergungsverbot für
Menschen aus Corona-Risikogebieten, wenn sie keinen negativen
Corona-Test vorweisen können. Niedersachsen macht eine Bescheinigung
über einen negativen Corona-Test von Freitag an zur Bedingung für
Urlauber aus den Kreisen Gütersloh und Warendorf.

Im Düsseldorfer Landtag attackierte Oppositionsführer Thomas
Kutschaty (SPD) Regierungschef Laschet: «Die Führungsschwäche dieser

Regierung ist ein Risiko für die Pandemiebekämpfung.» Der
Tönnies-Sitz Rheda-Wiedenbrück sei «heute der größte Virus-Hotspo
t in
ganz Europa», sagte Kutschaty. Der Corona-Ausbruch sei schlimmer als
in Heinsberg und Ischgl. Die Regierung habe zu lange gezögert, durch
entschlossene Maßnahmen «zu verhindern, dass eine zweite
Infektionswelle über Deutschland und Europa kippt».

Laschet betonte hingegen, NRW sei bundesweit «das erste Land», das
aus Vorsicht eine Region «komplett zurückführt». Zum Vorwurf der
Zögerlichkeit sagte er: «Es ist eine Abwägung erforderlich.» Ihn
wundere es immer wieder, wie schnell manche bereit seien,
Einschränkungen der Grundrechte vorzunehmen.

Der Corona-Ausbruch im Fleischbetrieb Tönnies könnte nach einer
ersten Einschätzung des Bonner Hygiene-Experten Martin Exner auf die
Luftkühlung im Zerlegebetrieb zurückgehen. In dem Bereich werde die
Luft auf sechs bis zehn Grad Celsius heruntergekühlt, während die
Arbeiter bei hohem Tempo und harter, körperlicher Belastung die
geschlachteten Schweine zerlegen, sagte der Professor bei einer
Pressekonferenz in Gütersloh. Um die Luft zu kühlen, werde diese aus
dem Raum gezogen, gekühlt und zurück in den Raum gebracht. Um zu
verhindern, dass Viren über dieses System verteilt werden, schlägt
Exner Hochleistungsfilter und UV-Strahlen als Lösung vor. In
Krankenhäusern würden diese Hochleistungsfilter bereits in
Operationssälen eingesetzt.