Lockdown rund um Tönnies-Betrieb - Gesundheitsminister wollen beraten Von Claus Haffert, Yuriko Wahl und Christoph Zeiher, dpa

Nach dem Corona-Ausbruch beim Schlachtbetrieb Tönnies zieht
Nordrhein-Westfalen Konsequenzen: In gleich zwei Kreisen wird das
öffentliche Leben heruntergefahren. Andere Bundesländer reagieren -
die Maßnahmen könnten viele Urlaubsplanungen durchkreuzen.

Gütersloh/Düsseldorf (dpa) - Der massive Corona-Ausbruch beim
Fleischverarbeiter Tönnies trifft die Menschen in den westfälischen
Kreisen Gütersloh und Warendorf hart. Die Behörden in
Nordrhein-Westfalen schränkten am Dienstag den Alltag von mehr als
640 000 Einwohnern in der Region um die größte deutsche Fleischfabrik
erheblich ein. Viele der im übrigen Bundesgebiet inzwischen
weitgehend aufgehobenen Pandemie-Schutzmaßnahmen treten dort
zumindest bis zum 30. Juni wieder in Kraft.

Die Gesundheitsminister der Länder wollen am Mittwoch in einer
Telefonkonferenz über ein gemeinsames Vorgehen nach den massenhaften
Corona-Neuinfektionen beraten, wie Schleswig-Holsteins
Landesregierung am Dienstag ankündigte. Ziel der Gespräche sei ein
bundeseinheitliches Vorgehen.

Denn schon jetzt zeichnet sich ab, dass der Ausbruch in NRW
Auswirkungen auf die Urlaubsplanung vieler Menschen haben dürfte. Auf
der Urlaubsinsel Usedom wurden am Montag 14 Menschen aus
Corona-Hotspots aufgefordert, vorzeitig abzureisen. In Bayern dürfen
Beherbergungsbetriebe künftig keine Menschen mehr aufnehmen, die aus
einem Kreis einreisen, in dem die Zahl der Neuinfektionen in den
zurückliegenden sieben Tagen bei mehr als 50 pro 100 000 Einwohner
liegt. Ausnahmen gibt es nur für Menschen, die einen aktuellen
negativen Corona-Test vorweisen könnten. In Schleswig-Holstein müssen
Reisende aus Corona-Risikogebieten wie dem Kreis Gütersloh nach ihrer
Einreise für 14 Tage in Quarantäne.

Bei dem Ausbruch rund um den Tönnies-Betrieb handele es sich um das
bisher «größte Infektionsgeschehen» in NRW und auch deutschlandweit
,
sagte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Der Lockdown, der in der
Nacht zum Mittwoch beginnen sollte, sei nötig, um durch Tests
feststellen zu können, «ob auch über die Mitarbeiter von Tönnies
hinaus in der Bevölkerung das Virus bereits verbreitet ist».

Die Entscheidung der NRW-Landesregierung, auch für den Kreis
Warendorf Beschränkungen zu verhängen, kam am Dienstagnachmittag
überraschend. Noch am Vormittag hatte Laschet erklärt,
Schutzmaßnahmen solle es nur in Orten der direkten Nachbarschaft zum
Kreis Gütersloh geben. «Man kann das nicht dorfscharf machen»,
begründete Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann nun die Ausweitung
auf den gesamten Kreis.

Im öffentlichen Raum dürfen sich die Menschen nur noch mit Personen
des eigenen Hausstands bewegen. Treffen dürfen sich auch zwei
Personen, die weder der Familie angehören noch zusammen leben. Zudem
verbieten die Behörden nach dem neuen Sicherheitspaket Sport in
geschlossenen Räumen sowie zahlreiche Kulturveranstaltungen.
Fitnessstudios werden ebenso geschlossen wie Kinos und Bars. Schulen
und Kindertagesstätten sind im Kreis Gütersloh bereits seit dem 17.
Juni geschlossen. Im Kreis Warendorf geschieht das am Donnerstag -
zwei Tage vor Ferienbeginn in NRW.

Laschet warnte indes davor, die Menschen aus dem Kreis Gütersloh
unter «Generalverdacht» zu stellen. «Dazu gibt es überhaupt keinen

Anlass.» Der Lockdown bedeute kein Ausreiseverbot, betonte der
Regierungschef mit Blick auf geplante Urlaubsreisen. Auf eine Frage,
ob Bewohner des Kreises Gütersloh in die Ferien fahren dürften, sagte
er: «Wer Urlaub plant, kann das natürlich machen.» Zugleich
appellierte er aber an die Bewohner, «jetzt nicht aus dem Kreis
heraus in andere Kreise zu fahren».

Die jetzt verkündeten Einschränkungen seien weniger umfangreich als
die Regelungen im März, sagte der Gütersloher Landrat Sven-Georg
Adenauer. So dürften zum Beispiel die Geschäfte geöffnet bleiben. Die

Einhaltung der Quarantäne der rund 7000 Tönnies-Mitarbeiter, darunter
viele Arbeiter aus Osteuropa, soll mit Hilfe der Polizei kontrolliert
werden.

Wie viele Beschäftigte des Tönnies-Betriebs in Rheda-Wiedenbrück sich

infiziert haben, ist unklar. Der Kreis will bei seinen Angaben
vorerst nicht mehr nach Tönnies-Mitarbeitern und Personen ohne Bezug
zu dem Schlachtbetrieb unterscheiden. Es sei zu Doppelzählungen in
den Wohnungen und auf dem Werksgelände gekommen. Insgesamt gebe es im
Kreis 1952 positive Befunde. Laschet hatte am Vormittag von 1553
infizierten Tönnies-Mitarbeitern gesprochen.

Ein weiterer Corona-Ausbruch bei einem Schlachthof wurde unterdessen
aus Niedersachsen gemeldet. Mitarbeiter der PHW-Gruppe («Wiesenhof»)
in Wildeshausen seien positiv auf das Coronavirus getestet worden,
teilte das Unternehmen am Dienstag mit. Eine am Montag erfolgte
Reihentestung sei bei 23 von 50 Mitarbeitern positiv verlaufen, sagte
ein Sprecher des Landkreises. Der PHW-Gruppe zufolge sollen alle mehr
als 1100 Mitarbeiter des Schlachthofes getestet werden.

Quarantäne-Maßnahmen gab es auch in Berlin-Friedrichshain. Dort
wurden bei 44 Bewohnern eines Gebäudekomplexes Corona-Infektionen
nachgewiesen. Die betroffenen Haushalte wurden unter Quarantäne
gestellt.

Nach den Corona-Ausbrüchen unter anderem im Kreis Gütersloh rief das
Robert Koch-Institut (RKI) die Menschen in Deutschland zur Vorsicht
auf. «Wir müssen weiterhin achtsam sein», sagte RKI-Chef Lothar
Wieler am Dienstag in Berlin. Das gelte für weitere Monate. Das Virus
sei noch im Land. «Wenn wir ihm die Chance geben, sich auszubreiten,
nimmt es sich diese Chance. Das sieht man an den derzeitigen
Ausbruchsgeschehen. (...) Ich denke nicht, dass die Lockerungen
völlig folgenlos bleiben werden.»

Wieler zeigte sich allerdings optimistisch, dass eine zweite Welle in
Deutschland mit den bereits erprobten Werkzeugen verhindert werden
kann: «Das liegt echt in unserer Hand.» Vor allem lokale Ausbrüche
treiben nach RKI-Einschätzung die bundesweiten Zahlen in die Höhe.
Nachdem in den vergangenen Wochen im Mittel etwa 350 neue Fälle pro
Tag ans RKI gemeldet worden seien, stiegen diese Zahlen seit
vergangenem Dienstag wieder etwas an, sagte Wieler.