Lockdown rund um Tönnies-Fleischfabrik - Urlauber zurückgeschickt Von Claus Haffert und Yuriko Wahl, dpa

Nach dem Corona-Ausbruch beim Schlachtbetrieb Tönnies zieht
Nordrhein-Westfalen die Notbremse. Gleich in zwei Kreisen wird das
öffentliche Leben heruntergefahren. Für Urlauber aus der Region ist
das kurz vor Ferienbeginn keine gute Nachricht.

Gütersloh/Düsseldorf (dpa) - Der massive Corona-Ausbruch beim
Fleischverarbeiter Tönnies trifft die Menschen in den westfälischen
Kreisen Gütersloh und Warendorf hart. Kurz vor Beginn der
Sommerferien in Nordrhein-Westfalen schränken die NRW-Behörden den
Alltag von mehr als 640 000 Einwohnern in der Region um die größte
deutsche Fleischfabrik erheblich ein. Bayern und
Mecklenburg-Vorpommern wollen Touristen aus Corona-Hotspots nicht
mehr im Land übernachten lassen.

Viele der im übrigen Bundesgebiet inzwischen weitgehend aufgehobenen
Pandemie-Schutzmaßnahmen treten in den beiden Kreisen zumindest bis
zum 30. Juni wieder in Kraft, wie die Landesregierung am Dienstag
mitteilte. Der Lockdown beginnt in der Nacht zum Mittwoch um
Mitternacht. Es handele sich um das bisher «größte
Infektionsgeschehen» in NRW und auch deutschlandweit, sagte
Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Der Lockdown sei nötig, um
durch Tests feststellen zu können, «ob auch über die Mitarbeiter von

Tönnies hinaus in der Bevölkerung das Virus bereits verbreitet ist».


Im öffentlichen Raum dürfen sich die Menschen nur noch mit Personen
des eigenen Hausstands bewegen. Treffen dürfen sich auch zwei
Personen, die weder der Familie angehören noch zusammen leben. Zudem
verbieten die Behörden nach dem neuen Sicherheitspaket Sport in
geschlossenen Räumen sowie zahlreiche Kulturveranstaltungen.
Fitnessstudios werden ebenso geschlossen wie Kinos und Bars. Schulen
und Kindertagesstätten sind im Kreis Gütersloh bereits seit dem 17.
Juni geschlossen. Im Kreis Warendorf geschieht das am Donnerstag,
zwei Tage vor Ferienbeginn in NRW.

Die Entscheidung der Landesregierung, auch für den Kreis Warendorf
einen Lockdown zu verhängen, kam am Dienstagnachmittag überraschend.
Noch am Vormittag hatte Laschet erklärt, Schutzmaßnahmen solle es nur
in Orten der direkten Nachbarschaft zum Kreis Gütersloh geben. «Man
kann das nicht dorfscharf machen», begründete Gesundheitsminister
Karl-Josef Laumann die Ausweitung auf den gesamten Kreis. «Das
gesellschaftliche Leben orientiert sich nicht an Dorfgrenzen.» Zudem
habe die 7-Tages-Inzidenz den Wert von 50 überschritten. «Darauf
guckt auch Deutschland. Darauf guckt auch das Ausland. Und ich finde,
wenn man das abgemacht hat, muss man sich auch dran halten», so
Laumann.

Von der Ostseeinsel Usedom musste bereits ein Ehepaar aus Gütersloh
abreisen, wie ein Sprecher des Kreises Vorpommern-Greifswald
berichtete. In Bayern dürfen Beherbergungsbetriebe künftig keine
Menschen mehr aufnehmen, die aus einem Kreis einreisen, in dem die
Zahl der Neuinfektionen in den zurückliegenden sieben Tagen bei mehr
als 50 pro 100 000 Einwohner liegt. Ausnahmen gebe es nur für
Menschen, die einen aktuellen negativen Corona-Test vorweisen
könnten, teilte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) mit. In
Schleswig-Holstein müssen Reisende aus Corona-Risikogebieten wie dem
Kreis Gütersloh in Quarantäne. Sie sollten unverzüglich nach der
Einreise ihre Wohnung oder eine andere geeignete Unterkunft beziehen,
um sich 14 Tage lang zu isolieren, teilte die Landesregierung mit.

Laschet warnte davor, die Menschen aus dem Kreis Gütersloh unter
«Generalverdacht» zu stellen. «Dazu gibt es überhaupt keinen Anlass

Der Lockdown bedeute kein Ausreiseverbot, betonte der Regierungschef
mit Blick auf geplante Urlaubsreisen. Auf eine Frage, ob Bewohner des
Kreises Gütersloh in die Ferien fahren dürften, sagte er: «Wer Urla
ub
plant, kann das natürlich machen.» Zugleich appellierte er aber an
die Bewohner, «jetzt nicht aus dem Kreis heraus in andere Kreise zu
fahren».

In Gütersloh standen am Dienstag zahlreiche Menschen an einem neu
eingerichteten Test-Zentrum an - auch um sich für Kontrollen in den
Urlaubsregionen zu wappnen. «Wir fahren am Freitag an die Ostsee in
den Urlaub und wollen da einen negativen Test in der Hand haben,
falls wir sonst nicht hingelassen werden», sagte einer der Wartenden.

Wie viele Beschäftigte des Tönnies-Betriebs in Rheda-Wiedenbrück sich

infiziert haben, ist unklar. Der Kreis will bei seinen Angaben
vorerst nicht mehr nach Tönnies-Mitarbeitern und Personen ohne Bezug
zu dem Schlachtbetrieb unterscheiden. Es sei zu Doppelzählungen in
den Wohnungen und auf dem Werksgelände gekommen. Insgesamt gebe es im
Kreis 1952 positive Befunde. Laschet hatte am Vormittag von 1553
infizierten Tönnies-Mitarbeitern gesprochen.

Der Landesregierung sei sich bewusst, dass die Schutzvorkehrungen für
die Bevölkerung eine große Belastung seien, sagte Gesundheitsminister
Laumann. «Doch ohne die Maßnahmen wären die Belastungen am Ende
womöglich um ein Vielfaches höher - in den Kreisen Gütersloh und
Warendorf, in den benachbarten Kreisen und Städten sowie in den
anderen Teilen unseres Landes.»

Die jetzt verkündeten Einschränkungen seien weniger umfangreich als
die Regelungen im März, sagte der Gütersloher Landrat Sven-Georg
Adenauer. So dürften zum Beispiel die Geschäfte weiter geöffnet
bleiben. Die Einhaltung der Quarantäne der rund 7000
Tönnies-Mitarbeiter, darunter viele Arbeiter aus Osteuropa, soll mit
Hilfe der Polizei kontrolliert werden. «Zur Not müssen die Behörden
auch mit Zwang diese Anordnung durchsetzen», sagte Laschet.