Rettet der staatliche «Wumms» die Wirtschaft aus der tiefen Krise? Von Jörn Bender, dpa

Die Corona-Krise zwingt die deutsche Wirtschaft in die Knie. Nach
einem herben Absturz erwarten die «Wirtschaftsweisen» 2021 die
Rückkehr des Wachstums - auch weil die Regierung viel Geld in die
Hand nimmt.

Wiesbaden/Berlin (dpa) - Die Corona-Einbußen für die Wirtschaft sind
gewaltig - die Hilfspakete auch. Doch retten die Steuermilliarden
Europas größte Volkswirtschaft aus der tiefsten Rezession der
deutschen Nachkriegsgeschichte? «Wir wollen mit Wumms aus der Krise
kommen», hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) Anfang Juni
nach der Einigung der Koalition auf ein milliardenschweres
Konjunkturpaket verkündet. Die «Wirtschaftsweisen» drücken es in
ihrer aktuellen Konjunkturprognose etwas nüchterner aus: Nach ihrer
Einschätzung «dürften sich die Stützungsmaßnahmen und beschlossen
en
wirtschaftspolitischen Konjunkturimpulse positiv auswirken».

Allerdings sei das Gremium «vorsichtig, was den «Wumms» angeht»,
sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Lars P. Feld, am Dienstag. So
könnte zwar der Konsum durch die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer
angeregt werden - womöglich ziehen Verbraucher aber Anschaffungen nur
auf dieses Jahr vor und kaufen dann 2021 weniger ein.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier versicherte: «Wir tun alles,
damit es ab dem letzten Quartal 2020 eine Trendumkehr geben wird.»
Mit dem «größten Konjunkturprogramm in der Geschichte Deutschlands»

schaffe der Bund die Voraussetzungen für einen raschen und
nachhaltigen Aufschwung, sagte der CDU-Politiker.

Schätzungen verschiedener Institutionen, etwa der Bundesbank, kommen
zu dem Ergebnis, dass der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP)
2020 wegen der milliardenschweren Hilfen um etwa einen Prozentpunkt
geringer ausfallen dürfte. Auch 2021 erwarten Volkswirte positive
Impulse des 130-Milliarden-Euro-Pakets.

Dennoch: Der Absturz der Wirtschaft hat historische Ausmaße. «Die
Corona-Pandemie wird voraussichtlich den stärksten Einbruch der
deutschen Wirtschaft seit Bestehen der Bundesrepublik verursachen»,
sagte Feld. Der Sachverständigenrat rechnet nun mit einem Minus der
Wirtschaftsleistung von 6,5 Prozent im laufenden Jahr.

Die düstere Prognose reiht sich ein in die Vorhersagen anderer
Ökonomen, Institute und Verbände. Die Bundesregierung erwartet, dass
das Bruttoinlandsprodukt 2020 um 6,3 Prozent schrumpfen wird, die
Bundesbank rechnet mit einem Rückgang um 7,1 Prozent und der Deutsche
Industrie- und Handelskammertag (DIHK) ging Mitte Mai gar von einem
Minus von «mindestens zehn Prozent» aus. Zum Vergleich: In der
weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 war das deutsche BIP um
5,7 Prozent zurückgegangen.

Die gute Nachricht: Schon in der zweiten Jahreshälfte 2020 könnten
Betriebe wieder Fuß fassen und der Konsum - auch dank der
Mehrwertsteuersenkung - anspringen. «Wir erwarten, dass (...) ab dem
Sommer eine Erholung einsetzt», sagte Feld.

Auch das Berliner DIW zeigte sich kürzlich überzeugt: «Das jüngst
beschlossene Konjunkturpaket der Bundesregierung stützt die
Konjunktur spürbar.» Union und SPD haben sich verständigt, für ein

halbes Jahr den Mehrwertsteuersatz zu senken: ab 1. Juli von 19 auf
16 Prozent beziehungsweise von 7 auf 5 Prozent. Zudem gibt es eine
höhere Kaufprämie für Elektroautos und Finanzspritzen für Familien.


Das Paket gehe «in die richtige Richtung», konstatierte
DIW-Konjunkturchef Claus Michelsen. Dennoch werde es lange dauern,
bis die deutsche Wirtschaft die Verluste infolge der Corona-Krise
ausgeglichen haben werde. «Wir können nur hoffen, dass sich die
Absatzmärkte für Produkte «Made in Germany» schnell erholen», sag
te
Michelsen. «Danach sieht es aber augenblicklich nicht aus.
Deutschland muss sich auf eine längere Durststrecke einstellen.»

Auch was die Wirkung von Konjunkturpaketen angeht, gibt es bei
einigen Beobachtern Zweifel. Die aktuelle Wirtschaftskrise sei kein
Nachfrageschock, sondern in erster Linie ein Angebotsschock, erklären
Volkswirte der Deutschen Bank in einer Mitte Mai in englischer
Sprache veröffentlichten Aufsatzsammlung. Einfacher ausgedrückt: «Die

Verbraucher blieben den Geschäften und Restaurants nicht deshalb
fern, weil sie sich Sorgen über ihre wirtschaftliche Zukunft machten,
sondern weil es ihnen von den Regierungen befohlen wurde.» Urlaube
wurden gestrichen, weil die Grenzen zeitweise dicht waren.

Angesichts dieser Zusammenhänge, so die Deutsche-Bank-Analyse, könne
man lernen, «dass massive Konjunkturprogramme nicht die richtige
Antwort» seien: Die Regierung verteile Geld, aber man könne es
nirgends ausgeben. «Die Versuche der Regierungen, die
Haushaltseinkommen zu stabilisieren [...) sind gut gemeint. Im
Ergebnis jagt man mit mehr Geld nach erheblich weniger Waren und
Dienstleistungen. Die Folge davon ist Inflation.»

Der Sachverständigenrat weist in seiner Prognose darauf hin, die
konjunkturelle Wirkung der von der Regierung als «Herzstück» des
Konjunkturpakets bezeichneten Mehrwertsteuersenkung hänge zu einem
großen Teil davon ab, in welchem Ausmaß die Steuersenkung an die
Verbraucher weitergegeben wird und so deren Realeinkommen steigert.

«Man kann schon damit rechnen, dass die Mehrwertsteuersenkung nicht
voll den Verbrauchern zugutekommt», sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest
kürzlich in einem Interview im Bayerischen Rundfunk (B5). Insgesamt
seien die Maßnahmen der Bundesregierung richtig, aber man dürfe nicht
zu viel davon erwarten, sagte Fuest: «Hier wird viel für die
Konjunktur getan. Trotzdem müssen wir sehen, dass diese Krise noch
lange nicht vorbei ist und dass das, was die Regierung machen kann,
begrenzt ist.»