Trend zu höherer Bildung in Deutschland lässt nach Von Jörg Ratzsch, dpa

Die Corona-Krise hat allen klargemacht: Bei der Digitalisierung liegt
an den Schulen noch vieles im Argen. Das bestätigt auch der Bericht
«Bildung in Deutschland 2020». Außerdem deuten sich Rückschritte be
im
Bildungsstand der Bevölkerung an.

Berlin (dpa) - Der jahrzehntelange Trend zu höheren
Bildungsabschlüssen in Deutschland kommt nach Einschätzung von
Forschern so langsam an seine Grenze. Wie aus dem Bericht «Bildung in
Deutschland 2020» hervorgeht, der am Dienstag in Berlin vorgelegt
wurde, gibt es stagnierende oder sogar sinkende Quoten beim Übergang
auf das Gymnasium, sinkende Absolventenquoten beim mittleren
Schulabschluss und auch bei der Hochschulreife. Außerdem sehen die
Autoren Defizite beim Thema Digitalisierung - sowohl in den Schulen
als auch bei den Schülern.

Insgesamt bestätigt der Expertenbericht frühere
Befunde: Bildungserfolg hängt in Deutschland stark von sozialer
Herkunft ab, und Bildung lohnt sich. «Wer sich länger und lebenslang
bildet und qualifiziert, kann mit besseren Chancen auf dem
Arbeitsmarkt rechnen und auch ein höheres Einkommen erreichen.»
Gleichzeitig wirke sich Bildung positiv auf individuelle
Verhaltensweisen, etwa gesundheitsbewusste Ernährung, aus, schreiben
die Wissenschaftler.

Der fast rund 360 Seiten starke Report wird alle zwei Jahre unter
Federführung des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und
Bildungsinformation (DIPF) erstellt. Er liefert eine umfangreiche
Bestandsaufnahme und zeigt Trends im deutschen Bildungssystem von der
Kita bis zur Erwachsenenweiterbildung auf. Einige Ergebnisse im
Überblick: 

MEHR SCHULABGÄNGER OHNE ABSCHLUSS

In der Gesamtbevölkerung werde zwar der langjährige Trend zu mehr
Bildungsbeteiligung und höheren Abschlüssen von Jahr zu Jahr stärker

sichtbar. Ein immer größerer Anteil der Menschen habe etwa die
Hochschulreife und einen Hochschulabschluss. «Allerdings wird auch
deutlich, dass dieser Trend seine Grenzen hat.» Seit 2013 sei der
Anteil der Schulabgänger ohne mindestens einen Hauptschulabschluss
von 5,7 auf 6,9 Prozent (2018) stetig gestiegen, die Absolventenquote
bei der Hochschulreife sei zurückgegangen (2014: 53 Prozent; 2018: 50
Prozent).

SCHULEN, DIGITALISIERUNG UND CORONA

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass viele Schulen nicht auf der Höhe
der Zeit sind: Aufgaben wurden auch per Zettel verteilt,
Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern war abhängig von
technischer Ausstattung sowie Kompetenz und Bereitschaft der
Beteiligten. «Die letzten Wochen waren ein Feldversuch für die
Bildung und haben natürlich auch Schwächen deutlich gemacht, gerade
auch im Bereich der Digitalisierung», sagte Bundesbildungsministerin
Anja Karliczek (CDU) am Dienstag.

Von den Autoren des Bildungsberichts kommt die klare
Empfehlung: «Digitale Medien lassen sich nur dann nachhaltig in das
Lehr-Lern-Geschehen integrieren, wenn neben einer besseren
technischen Infrastruktur auch verstärkt in die Qualifizierung der
Lehrenden investiert wird.»

Aber auch grundsätzliche Defizite bei den Schülern werden
angesprochen: Es hat zwar heute fast jeder ein Smartphone. Aber über
alle Bildungsbereiche hinweg verfüge «ein beträchtlicher Teil der
Kinder, Jugendlichen oder Erwachsenen bislang allenfalls über
rudimentäre digitale Kompetenzen». Die Präsidentin der
Kultusministerkonferenz (KMK) und rheinland-pfälzische
Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) nannte als Beispiel den
Umgang mit sogenannten Fake News.

Mit Blick auf den Ausnahmezustand an den Schulen wegen der
Corona-Pandemie befürchten die Forscher negative Folgen besonders für
Kinder und Jugendliche aus «sozial benachteiligten Familien».

STEIGENDER FINANZ-, LEHRER- UND ERZIEHERBEDARF 

Die Zahl der «Bildungsteilnehmer» im System ist in den vergangenen
Jahren weiter gestiegen und damit auch die Zahl der Beschäftigten. In
der Kindertagesbetreuung gab es zwischen 2008 und 2018 eine Zunahme
der Mitarbeiter um 63 Prozent, an den Hochschulen um 37 Prozent.
Durch steigende Geburtenzahlen, Zuwanderung und den Ausbau von
Ganztagsplätzen an Grundschulen wird sich der Bedarf in der frühen
Bildung, Betreuung und Erziehung und auch in den Schulen weiter
erhöhen, prognostizieren die Forscher.

Das gilt entsprechend auch für die Kosten: Im Jahr 2018 wurden in
Deutschland 218 Milliarden Euro für Bildung ausgegeben. Im
internationalen Vergleich liegen die Ausgaben gemessen am
Bruttoinlandsprodukt zwar unter dem OECD- und EU-Schnitt, pro Kopf
aber darüber.

ANGESPANNTE LAGE BEI DER BERUFSAUSBILDUNG 

Die Situation im Bereich Berufsausbildung bezeichnen die
Bildungsexperten als «angespannt». Das liege vor allem an einem
Problem: Obwohl es freie Ausbildungsplätze gebe, bleibe ein Teil der
Jugendlichen ohne Lehrstelle. «Soll der Fachkräftebedarf langfristig
gedeckt werden, müssen zudem mehr Betriebe darüber nachdenken, auch
Jugendlichen ohne oder mit niedrigem Bildungsabschluss die Chance auf
einen Ausbildungsplatz zu geben», empfehlen die Autoren.

CHANCEN VON AKADEMIKERN «NACH WIE VOR SEHR GUT»

Das Interesse am Studium ist in Deutschland ungebrochen. Im
Bildungsbericht wird damit gerechnet, dass die Nachfrage nach
Studienplätzen bis 2030 auf dem heutigen Niveau bleiben wird. Pro
Jahr fangen rund 500 000 Menschen ein Studium an. Die
Arbeitsmarktchancen für Akademiker werden als «nach wie vor sehr gut»

bezeichnet.