Bald wieder Bier in englischen Pubs? - Johnson: «Uraltes Recht» Von Silvia Kusidlo, dpa

Während der Corona-Krise vermissen viele Briten vor allem eines ganz
besonders: ihren Pub. Bald könnte das Bier wieder reichlich aus den
Zapfhähnen strömen. Aber ist das derzeit schon sinnvoll?

London (dpa) - Bitte ein Pint! Nach mehr als drei Monaten
Corona-Zwangspause könnten die beliebten englischen Pubs bald wieder
öffnen. Noch am Montag wollte Premierminister Boris Johnson mit
Ministern und Wissenschaftlern hinter verschlossenen Türen über eine
Lockerung der Corona-Maßnahmen auch in der Gastronomie diskutieren.
Johnson werde die Ergebnisse am Dienstag vorstellen, bestätigte eine
Regierungssprecherin der Deutschen-Presse-Agentur in London.

Viele Pubs gelten in Großbritannien als zweites Wohnzimmer, in denen
man sich in geselliger Runde nach Feierabend zum Bier trifft. Gerade
im Sommer stehen oft Menschentrauben vor den Eingängen und trinken
ihr Pint, das etwas mehr als einem halben Liter entspricht.

Als Johnson in der zweiten Märzhälfte strenge Maßnahmen zur
Eindämmung der Pandemie verkündete, wurde er beim Thema
Pub-Schließungen fast theatralisch: «Ich weiß, dass wir etwas
Außergewöhnliches machen. Wir nehmen das uralte und unveräußerliche

Recht frei geborener Menschen, in den Pub zu gehen, weg.»

Die Geschäftsführerin des britischen Bier- und Pub-Verbandes, Emma
McClarkin, warnte erst kürzlich: «47 000 Pubs und 2000 Brauereien in
Großbritannien haben einen kritischen Moment erreicht und brauchen
nun ein konkretes Datum, wann sie wieder öffnen können.» Die Branche

fürchtet den Verlust Hunderttausender Arbeitsplätze.

Schon seit Jahren kämpfen die Betreiber gegen ein Pub-Sterben vor
allem in ländlichen Gebieten. Eine gesündere Lebensweise, die hohe
Biersteuer und das Rauchverbot halten viele Briten vom Kneipenbesuch
ab. In Städten war dort bislang hingegen oft kaum ein Platz zu
bekommen.

Britische Medien rechnen nun damit, dass trotz Pandemie viele Pubs,
Restaurants, Hotels und Friseurläden ab 4. Juli wieder ihre Dienste
anbieten dürfen - aber wohl mit bestimmten Sicherheitsvorkehrungen.
Die Maßnahmen gelten nur für England: Jeder britische Landesteil
entscheidet über seine eigenen Maßnahmen im Kampf gegen das Virus.

Voraussetzung für die Pub-Öffnungen dürfte wohl sein, dass auch die
bislang wegen der Pandemie geltende Zwei-Meter-Abstandsregel in
England gelockert wird. Denn viele Betreiber halten den Betrieb von
Pubs und Restaurants ansonsten für unrealistisch, sie fürchten viel
zu geringe Umsätze. Im Gespräch ist eine Reduzierung um einen Meter.

Kritiker warnen hingegen vor verfrühten Maßnahmen: Großbritannien hat

die meisten Corona-Todesopfer in Europa. Der Regierung wird zudem
vorgeworfen, zu spät und falsch auf die Pandemie reagiert zu haben.

Ob eine Ein-Meter-Abstandsregelung sinnvoll ist und das Bier in den
Pubs bald wieder in Strömen fließen wird? Zeshan Qureshi, Leiter
einer Studie zur sozialen Distanz, hat da so seine Bedenken: Viele
Untersuchungen zum Abstandhalten bei der Übertragung von
Krankheitserregern fußten auf alten Daten und seien gar nicht auf das
Coronavirus bezogen, sagte der Londoner Mediziner der BBC. Sein
Fazit: «Mehr soziale Distanz ist besser als weniger soziale Distanz.»