Kretschmann: Rückkehr zum Regelbetrieb an Schulen unrealistisch

Sollen die Schulen im September wieder uneingeschränkt geöffnet
werden? Die Kultusministerin und Herausforderin bei der Landtagswahl
widerspricht ihrem Regierungschef.

Stuttgart (dpa) - Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält

eine Rückkehr zum Regelbetrieb an den Schulen nach den Sommerferien
für unrealistisch. «Unser Kernproblem ist die hohe Zahl der
Lehrkräfte und Erzieher, die sich zu den vulnerablen Gruppen zählen.
In den Schulen sollen das bis zu 20 Prozent sein», sagte Kretschmann
in einem Interview der «Stuttgarter Zeitung» und «Stuttgarter
Nachrichten» (Montag). «So kann man keinen Regelbetrieb wie vor der
Corona-Pandemie machen.»

Der Verband Bildung und Erziehung Baden-Württemberg (VBE) nannte die
Aussagen Kretschmanns eine «Frechheit». Der Landesregierung sei es in
den vergangenen neun Jahren nicht gelungen, eine anständige
Lehrkräfteversorgung auf die Beine zu stellen. «Hätte sie es
geschafft, wie vom VBE seit Jahren gefordert, eine
Lehrkräfteversorgung von 110 Prozent zu gewährleisten, hätten wir
auch unter den jetzigen Pandemiebedingungen ausreichend Lehrpersonal,
um den Unterricht sicherzustellen», teilte der Landesvorsitzende
Gerhard Brand mit

In der vergangenen Woche hatten die Kultusminister der Länder
beschlossen, dass die Schulen nach den Sommerferien wieder
vollständig öffnen und in den Regelbetrieb zurückkehren sollen.
Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) zeigte
sich daher verwundert über Kretschmanns Aussagen: «Eine pauschale
Absage eines Regelbetriebs zu diesem frühen Zeitpunkt halte ich für
falsch.» Ihr Ziel sei es weiterhin, «auch in den weiterführenden
Schulen von Mitte September an einen Regelbetrieb unter
Pandemiebedingungen und so viel Präsenzunterricht wie möglich zu
ermöglichen. Dass es mancherorts - gerade im Hinblick auf
Risikogruppen unter den Lehrkräften - gewisse Einschränkungen geben
kann, lässt sich voraussichtlich leider nicht vermeiden.»

Die vollständige Öffnung der weiterführenden Schulen sei abhängig v
om
Infektionsgeschehen und der Einschätzung der Gesundheitsexperten,
räumte Eisenmann ein. «Um alle Lehrerinnen und Lehrer mit relevanten
Vorerkrankungen vor pauschalen Unterstellungen zu schützen und
verlässliche Zahlen bei den Risikogruppen zu erhalten, führen wir zum
29. Juni eine Attest-Pflicht für Lehrkräfte ein.»

Eisenmann ist auch Spitzenkandidatin der CDU bei der Landtagswahl im
kommenden März. Der aufziehende Wahlkampf wirkt sich nach Angaben
Kretschmanns schon jetzt erheblich auf die Regierungsarbeit aus.
«Zwar nicht auf die Ergebnisse, die erzielen wir auf allen Gebieten.
Aber der Aufwand wird immer größer», sagte der Regierungschef den
beiden Zeitungen. «Jede interne Forderung wird sofort an die
Öffentlichkeit gespielt. Das nimmt dramatisch zu und macht das
Regierungsgeschäft schwerer.»

SPD-Fraktionschef Andreas Stoch wiederum kritisierte die
widersprüchlichen Aussagen von Kretschmann und Eisenmann. «Das
Gezerre von CDU und Grünen auf dem Rücken der Schüler, Lehrer und
Eltern ist kaum mehr zu ertragen», teilte Stoch am Montag mit. Die
Schulen bräuchten einen verbindlichen Rahmen für die Planung des
neuen Schuljahres. «Es müssen alle Beteiligten einbezogen werden,
damit nach den Sommerferien der Schulbetrieb wieder so normal wie
möglich stattfinden kann.»