Weniger Lehrstellen wegen Corona oder nur späterer Start?

Eigentlich startet das neue Lehrjahr in vielen Branchen am 1. August.
Doch nach den strengen Corona-Beschränkungen sind viele Gelegenheiten
ausgefallen, in der sich Betriebe und künftige Azubis treffen. Wird
es dieses Jahr weniger Azubis in Sachsen-Anhalt geben?

Magdeburg/Halle (dpa/sa) - Viele Firmen in Sachsen-Anhalt brauchen
dringend gute Nachwuchskräfte, doch die negativen Folgen der
Corona-Pandemie belasten auch viele hiesige Ausbildungsbetriebe. Der
Bund will Lehrbetriebe mit einer Prämie unterstützen, wenn sie Azubis
halten und zusätzliche einstellen. Sachsen-Anhalt prüfe derzeit, ob
und wie es das frisch geplante Programm des Bundes unterstützen
werde, sagte eine Sprecherin des Sozialministeriums und reagierte
damit auf entsprechende Forderungen von Wirtschaftsvertretern.

Derweil befürchten Experten im Land, dass sich Betriebe zunächst von
der Ausbildung zurückziehen könnten. Die Industrie- und Handelskammer
(IHK) Magdeburg verweist darauf, dass die Lehre in vielen Betrieben
zumindest später beginnen könnte als geplant.

Es sei davon auszugehen, dass viele Lehrverträge später geschlossen
würden als üblich, sagte die Geschäftsführerin für Berufliche Bil
dung
bei der IHK-Magdeburg, Stefanie Klemmt. Ein Grund sei, dass viele
Orientierungsangebote wie Berufsfindungsmessen, der Zukunftstag oder
Betriebspraktika wegen der Corona-Beschränkungen ausgefallen seien.
Jetzt müssten andere Kennenlernmöglichkeiten zwischen Jugendlichen
und Ausbildungsbetrieben gefunden werden.

So planen die vier IHKs und Handwerkskammern in Sachsen-Anhalt,
gemeinsame Online-Bewerbertage anzubieten. Kurz vor den Sommerferien
solle es vier Termine geben, in denen Berater per Videoschalte
Jugendliche bei der Berufswahl oder der Suche nach konkreten
Azubistellen beraten sollen, kündigte Klemmt an. Auch Präsenztermine
in den Schulen selbst seien angedacht.

Derzeit gebe es rund 15,5 Prozent weniger geschlossene Azubiverträge
als im Vorjahreszeitraum, sagte Klemmt über die Situation im Norden
Sachsen-Anhalts. «Wir hoffen, dass sich das jetzige Minus bis
November oder Dezember aufhebt.»

Bildungsminister Marco Tullner (CDU) hatte zuletzt bereits
angekündigt, dass mit Kammern und Berufsschulen daran gearbeitet
werde, die Fristen für den Start ins neue Ausbildungsjahr flexibler
zu gestalten. Die Handwerkskammer Magdeburg verwies darauf, dass neue
Azubis nur in Ausnahmefällen nach dem 1. August starten sollten.

Für den Norden Sachsen-Anhalts bekommt Klemmt nach eigenen Angaben
bisher kaum die Rückmeldung, dass Betriebe aufgrund der negativen
Corona-Folgen geschlossene Lehrverträge auflösen. Zudem seien ihr
dort nur in Einzelfällen Betriebe bekannt, die sich wegen der
Corona-Krise von der Ausbildung zurückziehen wollten.

Die IHK Halle-Dessau meldet, dass besonders betroffene Branchen
zurückhaltend sind bei der Einstellung neuer Lehrlinge. Das betreffe
etwa die Gastronomie, aber auch die Reise- und Veranstaltungsbranche,
sagte Simone Danek, IHK-Geschäftsführerin für Aus- und Weiterbildung

im Süden des Landes. In anderen Betrieben hätten sich auch für
zukünftige Azubis die Einstellungsgespräche wegen der Corona-Pandemie
verschoben. Zudem gebe es Firmen, die unverändert an ihrem Fahrplan
festhielten. Eine jüngst gestartete bundesweite Umfrage soll ein
genaueres Bild ergeben, auch für die Situation in Sachsen-Anhalt.

Die Handwerkskammer Magdeburg fürchtet derzeit, dass weniger Betriebe
Nachwuchs ausbilden. So habe eine bundesweite Umfrage unter
ausbildenden Handwerksbetrieben ergeben, dass jeder vierte sich aus
der Ausbildung zurückziehen wolle, sagte Hauptgeschäftsführer
Burghard Grupe. Messbare Anzeichen gibt es dafür noch nicht: Bisher
liege die Zahl der geschlossenen Lehrverträge im Norden
Sachsen-Anhalts auf Vorjahresniveau.

Grupe forderte schnelle Klarheit darüber, wie die angekündigte Prämie

des Bundes ausgezahlt wird. Viele Firmen hätten in den vergangenen
Tagen bereits bei der Kammer nach dem Programm gefragt, so Grupe. Es
brauche schnell Klarheit, da jetzt die Verträge für das neue Lehrjahr
geschlossen würden, das am 1. August beginne. «Wir brauchen hier
schnellstmöglich einen Fahrplan», so Grupe. Bekannt ist derzeit, dass
Ausbildungsbetriebe 2000 Euro erhalten, wenn sie die Zahl ihrer
Lehrstellen halten. Wer mehr ausbildet, soll 3000 Euro bekommen.