Corona-Ausbruch in Tönnies-Fleischfabrik - Mehr als 1000 Infizierte

Mehr als 1000 Corona-Infizierte, die Bundeswehr im Einsatz,
Deutschlands größer Fleischbetrieb für 14 Tage geschlossen: Politiker

und Verbraucherschützer fordern ein rasches Umdenken. Der Konzernchef
äußert sich nun auch persönlich.

Berlin/Gütersloh (dpa) - Der Corona-Ausbruch beim Fleischproduzenten
Tönnies in Nordrhein-Westfalen droht außer Kontrolle zu geraten. Am
Samstag wurde der Betrieb für 14 Tage geschlossen, zu diesem
Zeitpunkt waren 1029 Mitarbeiter positiv auf das Virus getestet
worden. Die Landesregierung will am Sonntag weitere Maßnahmen
beraten. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), der vom bisher
größten Infektionsausbruch in NRW sprach, schließt einen regionalen
Lockdown nicht aus. Politik und Verbraucherschützer erhöhen derweil
den Druck auf die Schlachtbranche, den Preiskampf bei
Arbeitsbedingungen und Fleisch im Supermarkt zu unterbinden.

Der Landrat des Kreises Gütersloh, Sven-Georg Adenauer, sagte am
Samstagnachmittag, insgesamt lägen 3127 Corona-Befunde vor. Die
Fabrik in Rheda-Wiedenbrück ist Deutschlands größter Fleischbetrieb,

der nun für zwei Wochen geschlossen werde, sagte der Leiter des
Krisenstabes, Thomas Kuhlbusch. Die Behörden hatten große Probleme,
an die Adressen der Mitarbeiter zu kommen. Deshalb hätten sich der
Kreis und der Arbeitsschutz Zugriff auf die Personalakten der Firma
Tönnies verschafft. «Das Unternehmen hatte es nicht geschafft, uns
alle Adressen zu liefern», sagte Landrat Adenauer. «Das Vertrauen,
das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich Null», so Kuhlbusch.

Clemens Tönnies sagte dazu: «Wir haben datenschutzrechtliche
Probleme.» Laut Werkvertragsrecht dürfe das Unternehmen die Adressen
der betreffenden Arbeiter nicht speichern. Co-Konzernchef Andreas
Ruff fügte hinzu: «Wir haben alle Daten, die wir hatten, sofort an
die Behörden weiter gegeben.» Tönnies wies zudem
Rücktritts-Spekulationen zurück. «Ich werde dieses Unternehmen aus
dieser Krise führen», sagte der 64-Jährige.

Die Corona-Reihenuntersuchungen auf dem Gelände der Fabrik gingen am
Samstag weiter. Zu den bereits 25 Bundeswehrsoldaten vor Ort wurden
40 weitere hinzugeholt. «20 davon helfen bei der Dokumentation und 20
helfen bei der Kontaktpersonennachverfolgung», sagte
Bundeswehrsprecher Uwe Kort. Die Kräfte fahren demnach gemeinsam mit
medizinischem Personal und Mitarbeitern des Kreises Unterkünfte ab
und testen dort Menschen. Laut Kort sprechen die Soldaten
osteuropäische Sprachen, um sich mit den Arbeitern verständigen zu
können.

Der Kreis hatte am Freitag verfügt, dass alle rund 6500
Tönnies-Mitarbeiter am Standort Rheda-Wiedenbrück mitsamt allen
Haushaltsangehörigen in Quarantäne müssen. Der Ausbruch war am
Mittwoch bekannt geworden. Das Land will die Quarantäne-Anordnung für
die Mitarbeiter konsequent durchsetzen. «Wir müssen sicherstellen,
dass in dieser Situation jeder sich an die Regeln hält», stellte
Laschet am Freitagabend klar. Noch könne das Infektionsgeschehen
lokalisiert werden. «Sollte sich dies ändern, kann auch ein
flächendeckender Lockdown in der Region notwendig werden.»

Nach dem erneuten Corona-Ausbruch in der Schlachtbranche wächst der
Druck, den massiven Preiskampf zu unterbinden. «Fleisch ist zu
billig», sagte Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) der
Deutschen Presse-Agentur. Sie setzt sich für eine Tierwohl-Abgabe
ein. Im Gespräch ist auch, Billigpreiswerbung für Fleisch einen
Riegel vorzuschieben. Aus der SPD kommt der Ruf, höhere Löhne in
Schlachtbetrieben durchzusetzen. «Auch für die Verbraucher wird sich
etwas ändern müssen», sagte Klöckner mit Blick auf eine
Tierwohl-Abgabe. «Dabei soll Fleisch kein Luxusprodukt für Reiche
werden. Aber auch keine Alltagsramschware.»

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte dem «Tagesspiegel» am
Sonntag: «Es kann nicht sein, dass Menschen aus Mittel- und Osteuropa
in Deutschland ausgebeutet werden, damit skrupellose Firmen
milliardenschwere Gewinne einfahren.» Heil will im Sommer einen
Gesetzentwurf vorlegen, um von 2021 an Werkverträge in der Branche
weitgehend zu verbieten - also dass die komplette Ausführung von
Schlachtarbeiten bei Sub-Unternehmern eingekauft wird.

Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein (CSU) forderte ein Ende der
Preiswerbung für Fleisch. «Wenn die Branche nicht zügig zu einer
Selbstverpflichtung kommt, brauchen wir eine gesetzliche Vorgabe.»
Verbraucherschützer kritisierten ebenfalls den Preisdruck. «Beim
Fleischkauf sollte man generell darauf achten, dass nicht das
Billigste auch das Beste ist», sagte Lebensmittelexperte Bernhard
Burdick von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen der dpa.