Fleischfabriken unter Druck - Aldi hinterfragt Schutzmaßnahmen Von Claus Haffert, dpa

Nach einem Corona-Ausbruch bei Tönnies steht der größte deutsche
Schlachtbetrieb für Schweine still. Die Politik nimmt
Arbeitsbedingungen und Dumpingpreise ins Visier. Auch der Discounter
Aldi will wissen, ob alle Schutzmaßnahmen eingehalten wurden.

Düsseldorf/Gütersloh (dpa) - Die großen Fleischfabriken in
Deutschland geraten nach dem Corona-Ausbruch bei Marktführer Tönnies
zunehmend in Bedrängnis. Das Bundesarbeitsministerium arbeite mit
Hochdruck an einem Gesetzentwurf für die geplanten Verschärfungen
beim Arbeitsschutz und einem weitgehenden Verbot von Werkverträgen in
der Fleischbranche, sagte eine Sprecherin am Freitag. Agrarpolitiker
der Union forderten mehr regionale Schlachthöfe. Die
NRW-Landesregierung will Billigangeboten beim Fleisch einen Riegel
vorschieben.

Auch im Lebensmittelhandel wird die Lage beim größten deutschen
Schlachtunternehmen genau verfolgt. Die Discounter Aldi Süd und Nord
teilten mit, sie stünden aufgrund des Corona-Ausbruchs mit Tönnies
und auch weiteren Lieferanten in Verbindung. «Dabei ist es von
besonderer Relevanz für uns zu erfahren, ob alle Schutzmaßnahmen
umgesetzt und eingehalten wurden», erklärte eine Sprecherin. Aldi
habe seine Überprüfungen zum Tierwohl um soziale Aspekte erweitert.
«Damit kontrollieren wir die Einhaltung der Sozialstandards und der
Sorgfaltspflicht in den Schlachthöfen.»

Auf die Versorgung der Verbraucher wird der Ausfall der
Schlachtmengen in Rheda-Wiedenbrück nach Einschätzung der
Lebensmittelketten und Discounter sowie von Marktbeobachtern keine
kurzfristigen Auswirkungen haben. «Fleisch wird in Deutschland nicht
knapp, auch nicht Schweinefleisch», sagte Tim Koch von der Agrarmarkt
Informations-Gesellschaft in Bonn.

«Die Situation bei Tönnies hat aktuell keine Auswirkungen auf unser
Angebot», betonte Lidl. Bei Aldi hieß es, die Filialen würden
«weiterhin täglich mit frischen Fleischartikeln beliefert». Sprecher

von Rewe und Real äußerten sich ähnlich. Auch das
NRW-Landwirtschaftsministerium versicherte, es drohten keine
Versorgungslücken.

Der Tönnies-Betrieb in Rheda-Wiedenbrück steht wegen des
Corona-Ausbruchs seit Mittwoch weitgehend still. Rund 7000
Mitarbeiter müssen auf das Virus getestet werden. Bei 803 ist bislang
(Stand Freitag, 0.00 Uhr) eine Infektion nachgewiesen. Seit Freitag
helfen Soldaten der Bundeswehr bei den Tests mit.

NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) kündigte an, das
Infektionsgeschehen in Schlachtbetrieben wissenschaftlich untersuchen
zu lassen. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld ermittelt nach dem
Eingang von fünf Strafanzeigen gegen Unbekannt wegen des
Anfangsverdachts auf fahrlässige Körperverletzung und Verstoßes gegen

das Infektionsschutzgesetz.

Offen blieb zunächst, welche Folgen die Schließung bei Tönnies auf
die Fleisch- und Wurstpreise hat. Das könne derzeit «nicht
verlässlich vorhergesagt werden», sagte ein Rewe-Sprecher. Auch bei
Aldi hieß es: «Ob und wie sich die aktuelle Situation des Lieferanten
auf die Verkaufspreise von Fleischartikeln auswirken wird, können wir
zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.»

Ob es zu Preisanhebungen kommt, ist nach Einschätzung von
Marktbeobachter Koch erst in einigen Wochen abzusehen. Der Handel
habe in der Regel mit den Schlachtunternehmen längerfristige Verträge
zu Mengen und Preisen abgeschlossen, sagte er.

NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Essen (CDU) will mit
einer Bundesratsinitiative Dumpingangebote beim Fleisch unterbinden.
«Es gibt haarsträubende Sonderaktionen, bei denen Fleisch deutlich
unter seinem Wert verkauft wird. Das müssen wir stoppen», sagte sie
der «Rheinischen Post» (Donnerstag). Es gehe darum, die im Gesetz
gegen unlauteren Wettbewerb vorgesehenen Ausnahmen deutlich zu
erschweren. Der Preisdruck aus dem Lebensmittelhandel wirke sich auf
die gesamte Kette aus, eben auch auf die Schlachtbetriebe.

Aus der Unionsfraktion im Bundestag kamen Forderungen nach einer
«Regionalisierung der Schlachtstruktur» in Deutschland. Damit lasse
sich nicht nur der Ausfall von einzelnen Kapazitäten wesentlich
leichter verkraften, betonte der agrarpolitische Sprecher der CSU,
Artur Auernhammer. Durch kürzere Transportwege werde auch mehr beim
Tierwohl erreicht.

Das NRW-Agrarministerium und die Lebensmittelbranche versicherten, es
gebe weiterhin keine Anhaltspunkte, dass das Coronavirus über
Fleischprodukte übertragen werden könne. Dem Bundesinstitut für
Risikobewertung seien bisher keine Infektionen mit Sars-CoV-2 über
einen Übertragungsweg über Lebensmittel bekannt.

Tönnies ist mit einem Marktanteil von gut 30 Prozent das mit Abstand
größte Schlachtunternehmen in Deutschland. Im vergangenen Jahr kam es

auf 16,7 Millionen geschlachtete Schweine, Nummer zwei der Branche
ist Westfleisch mit 7,7 Millionen Schlachtungen. Im Coesfelder
Westfleisch-Betrieb hatte es im Mai einen großen Corona-Ausbruch
gegeben.