Kein Durchbruch, aber Hoffnung: EU-Milliardenpoker geht weiter

Die Coronavirus-Pandemie hat die Wirtschaft in der Europäischen Union
massiv getroffen. Ein riesiges Konjunktur- und Investitionspaket soll
den Wiederaufbau nach der Krise anschieben. Die Verhandlungen sind
jedoch vertrackt.

Brüssel (dpa) - Die Europäer müssen auf das EU-Konjunkturprogramm zur

Bewältigung der dramatischen Corona-Krise noch warten. Bei einem
Videogipfel am Freitag erreichten Bundeskanzlerin Angela Merkel und
ihre EU-Kollegen zunächst keine greifbaren Ergebnisse. «Die Brücken,

die wir noch zu bauen haben, sind groß», sagte Merkel anschließend.
Mitte Juli werde weiter verhandelt. Etliche Länder sowie das
Europaparlament und die Europäische Zentralbank mahnen zur Eile. Denn
die Aussichten für Wirtschaft und Arbeitsmarkt sind düster.

Es sei klar gewesen, dass der Videogipfel noch keinen Durchbruch
bringen würde, sagte Merkel. Doch habe eine sehr sachbezogene
Diskussionskultur und Atmosphäre geherrscht. Deutschland sei
zufrieden mit der Grundarchitektur des erwogenen Programms, aber es
gebe noch eine Reihe von Fragen. EU-Ratschef Charles Michel sagte,
die Verhandlungsphase beginne erst jetzt. Er kündigte für Mitte Juli
ein Gipfeltreffen in Brüssel an. Er werde neue Vorschläge
vorbereiten.

Auf dem Tisch liegt ein Vorschlag der EU-Kommission für einen
schuldenfinanzierten Konjunktur- und Investitionsplan im Umfang von
750 Milliarden Euro. Davon sollen 500 Milliarden Euro als Zuschüsse
an die EU-Staaten fließen, der Rest als Kredite. Die Schulden sollen
bis 2058 gemeinsam aus dem EU-Haushalt abbezahlt werden. Verhandelt
wird der Plan zusammen mit dem nächsten siebenjährigen
EU-Finanzrahmen, für den die Kommission 1,1 Billionen Euro ansetzt.

Doch die Positionen der 27 EU-Staaten liegen weit auseinander.
Umstritten ist unter anderem das Gesamtvolumen des Pakets sowie die
Frage, ab wann der Kredit abbezahlt werden soll und die Bedingungen
für die Vergabe der Gelder. Zudem haben die sogenannten sparsamen
Vier - Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande - Bedenken,
Geld, das als Kredit aufgenommen wurde, als Zuschüsse zu vergeben.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz ließ am Freitag jedoch
Verhandlungsbereitschaft erkennen: Zuschüsse lehnte er nicht
rundheraus ab. Sein Land lege Wert darauf, dass die geplanten
Milliarden-Kredite und -Zuschüsse nur für sinnvolle Projekte wie
Digitalisierung und Ökologisierung ausgegeben werden sollten.
Zugleich betonte Kurz, es müsse sich um eine einmalige Aktion mit
engem Zeitrahmen handeln.

Merkel nannte als offene Punkte unter anderem die Klärung der
Datenbasis, auf die sich die Zahlungen bezögen. Man müsse auch dafür

sorgen, dass das Geld möglichst schnell abfließen könne. So müsse d
ie
Dauer von Genehmigungsverfahren nochmals überprüft werden, ebenso das
Wettbewerbsrecht. Sie rechne nicht mit einer Auszahlung vor dem 1.
Januar 2021.

Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sagte: «Dinge
brauchen Zeit, wenn sich so viele Länder einig werden sollen.» Von
dänischer Seite aus kämpfe man dafür, so bald wie möglich eine
Einigung zu erreichen. «Das könnte hoffentlich im Laufe des Juli
bedeuten», wurde Frederiksen von der Agentur Ritzau zitiert.

Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte forderte ebenfalls
eine rasche Vereinbarung. «Wir müssen das Abkommen unbedingt bis Ende
Juli abschließen», sagte er nach Berichten italienischer
Nachrichtenagenturen. Der Gesamtbetrag von 750 Milliarden Euro dürfe
keinesfalls unterschritten werden. «Der Vorschlag der Kommission ist
fair und gut ausbalanciert.» Italien ist eines der am schlimmste von
der Pandemie betroffenen EU-Länder.

Auch die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde,
sagte laut Teilnehmern in der Sitzung, je schneller das Programm
komme, desto besser. Es müsse «groß, schnell, flexibel und solide in

wirtschaftlichen Reformen verankert sein». Sie bekräftigte die
Erwartung der EZB, dass die Wirtschaft der Eurozone dieses Jahr um
8,7 Prozent schrumpfen werde. EU-Parlamentspräsident David Sassoli
betonte: «Zeit ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können.»