Lehrergewerkschaft nennt Öffnung der Grundschulen «verantwortungslos»

Ab Montag sollen wieder alle hessischen Grundschüler regulär
unterrichtet werden. Für das Land angesichts niedriger
Corona-Infektionszahlen ein richtiger Schritt - etwa zur Entlastung
der Eltern. Vertreter der Lehrer sehen die Öffnungen weiter kritisch.

Wiesbaden (dpa/lhe) - Hessische Lehrergewerkschaften haben erneut
nachdrücklich vor der geplante Wiedereröffnung der Grundschulen am
Montag gewarnt. Die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft (GEW), Birgit Koch, nannte es «verantwortungslos», dass
nach der Corona-Zwangspause nun wieder alle Grundschüler zum
Präsenzunterricht kommen sollen. «Bis zum Schulhaus haben wir die
Corona-Pandemie - und innen soll sie nicht mehr sein?», sagte sie.

In Frankfurt kamen am Freitagnachmittag mehrere Dutzend Menschen zu
einer GEW-Kundgebung zusammen. Einige hatten sich Plüschohren auf den
Kopf gesetzt und hielten Schilder in die Höhe auf denen zu lesen
stand: «Wir sind die Corona-Versuchskaninchen» oder «Lehrer und
Schüler als Versuchskaninchen? Nein!». Die Frankfurter
GEW-Vorsitzende Laura Preusker sagte: «Wir sind nicht der Stresstest
für Sie alle.»

Die Gewerkschaft bekommt nach den Worten der GEW-Landesvorsitzenden
Koch regelmäßig E-Mails von Eltern mit dem Tenor, Grundschulen seien
keine Versuchslabore im Umgang mit der Coronavirus-Pandemie. Viele
Mütter und Väter kündigten an, ihre Kinder nicht zum Unterricht zu
schicken, sagte sie. Die GEW rechne damit, dass nach wie vor 10 bis
15 Prozent der Lehrkräfte nicht für den Präsenzunterricht zur
Verfügung stehen, weil sie einer Risikogruppe angehören.

«Es ist und bleibt widersprüchlich, wenn einerseits die Kanzlerin
betont, dass das Abstandsgebot das A und O bleibe, andererseits
wieder im Klassenverband unterrichtet wird», erklärte der
Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) Hessen,
Stefan Wesselmann. «Oder dass Großveranstaltungen bis Oktober
verboten bleiben, während sich an manchen Schulen wieder täglich
hunderte Kinder und Erwachsene begegnen dürfen.»

Niemand sei gerne ein Versuchskaninchen - «schon gar nicht, wenn
nicht für angemessene Laborbedingungen gesorgt ist», kritisierte
Wesselmann mit Blick auf möglichen Raum- und Personalmangel.
Lehrkräfte sollten die Möglichkeit bekommen, sich regelmäßig testen

zu lassen, forderte er. Außerdem müsse für Kollegen, die dieses
Sicherheitsbedürfnis hätten, wirksame Masken zur Verfügung gestellt
werden.

Hessens Kultusministerium geht nach den Worten seines Sprechers
Stefan Löwer davon aus, dass alle Grundschulen ausreichend Zeit
hatten, sich auf die Rückkehr zur Fünf-Tage-Woche vorzubereiten. «Ein

repräsentatives Bild dazu liegt uns allerdings nicht vor», teilte er
in Wiesbaden mit. «Wir sind uns durchaus bewusst, dass wir
Schulleitungen und Kollegium mit einer erneuten Umorganisation des
Schulbetriebs einiges zumuten.»

Löwer verteidigte den Schritt der Landesregierung und verwies auf
neue Erkenntnisse zur Infektionslage. Außerdem würden die Eltern und
Familien entlastet und dem Recht auf Bildung und Chancengerechtigkeit
wieder mehr Geltung verschafft. «Das bestätigen auch zahlreichen
Rückmeldungen von Eltern und auch aus den Schulen», erklärte er.

Erfahrungen zeigten, dass die Schüler die Hygieneregeln mittlerweile
verinnerlicht hätten. «Diese Erkenntnis, vor allem aber die
aktualisierten Einschätzungen der Virologen zur Infektiosität von
Kindern, lassen mittlerweile eine Aufhebung der Abstandsregeln im
Unterricht zu», erläuterte Löwer. Zumindest dann, «wenn die
Zusammensetzung der jeweiligen Lerngruppe konstant bleibt und sie
möglichst durchgängig im selben Raum und von derselben Lehrkraft
unterrichtet wird».

Ein weiterer wesentlicher Faktor bei der Entscheidung zur
vollständigen Öffnung der Grundschulen sei die zunehmende Belastung
gewesen, der sich junge Familien in den vergangenen Monaten
gegenübersahen, erklärte der Ministeriumssprecher. Die zentralen
Hygienevorgaben gälten zudem nach wie vor: Dazu zählen das Tragen
einer Mund-Nase-Bedeckung bei der An- und Abreise zur Schule mit dem
ÖPNV, das Desinfizieren von Oberflächen in den Schulgebäuden, das
regelmäßige Lüften der Klassenräume und vor allem das regelmäßi
ge
Händewaschen.

Das Kultusministerium gehe davon aus, dass an den allermeisten
Schulen ausreichend Lehrkräfte zur Verfügung stehen, erklärte Löwer
.
Beispielsweise falle die Notfallbetreuung an den Grundschulen weg,
die bisher Ressourcen gebunden habe. Außerdem könnten sich Lehrkräfte

im Alter von über 60 nicht mehr pauschal vom Präsenzunterricht
freistellen lassen, sondern bräuchten dafür ein amtsärztliches
Attest.