Die Milliarden-Verhandlungen: EU-Gipfel berät Corona-Aufbauprogramm

Die Coronavirus-Pandemie hat die Wirtschaft in der Europäischen Union
massiv getroffen. Ein riesiges Konjunktur- und Investitionspaket soll
den Wiederaufbau nach der Krise anschieben. Die Verhandlungen sind
jedoch vertrackt.

Brüssel (dpa) - Der EU-Gipfel um den milliardenschweren Aufbauplan
zur Bewältigung der Corona-Wirtschaftskrise hat begonnen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und die anderen Staats- und
Regierungschefs wollten am Freitag erstmals über den Plan der
EU-Kommission für ein 750-Milliarden-Programm beraten. Bei etlichen
Fragen lagen die 27 Staaten zuletzt jedoch noch weit auseinander.

EU-Ratschef Charles Michel appellierte deshalb an die Staats- und
Regierungschefs, sich zu einigen. «Wir haben eine gemeinsame
Verantwortung zu liefern», schrieb der Belgier auf Twitter.

Grundlage der Gespräche am Freitag war ein Vorschlag der
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für einen
schuldenfinanziertes Konjunktur- und Investitionsplan im Umfang von
750 Milliarden Euro. Davon sollen 500 Milliarden Euro als Zuschüsse
an die EU-Staaten fließen, der Rest als Kredite. Der Vorschlag sieht
vor, dass die Schulden über mehrere Jahrzehnte hinweg über den
gemeinsamen EU-Haushalt abbezahlt werden.

Von der Leyen verteidigte das Programm, über das am Freitag zusammen
mit dem nächsten siebenjährigen Finanzrahmen ab 2021 verhandelt
wurde. «Der Vorschlag der Kommission ist mutig und gut ausgewogen»,
sagte die CDU-Politikerin in einer Videobotschaft.

«Zusammen mit dem neuen Europäischen Haushalt sprechen wir über ein
Investitionsvolumen von 1850 Milliarden Euro», unterstrich von der
Leyen. Das Paket helfe nicht nur den am härtesten von der Pandemie
getroffenen Ländern, sondern allen EU-Ländern, deren
Volkswirtschaften geschwächt seien. Mit dem Milliardenprogramm werde
Europa widerstandsfähiger, nachhaltiger, digitaler und moderner.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte das Programm zuletzt
beworben. Aus ihrer Sicht ist es auch ein Mittel gegen Radikale und
Spaltung in Europa, sagte sie am Donnerstag im Bundestag. «Wir dürfen
nicht naiv sein: Die antidemokratischen Kräfte, die radikalen,
autoritären Bewegungen, warten ja nur auf ökonomische Krisen, um sie
dann politisch zu missbrauchen.»

Dabei waren vor Beginn des Videogipfels noch etliche Punkte
umstritten. Deshalb sollte es am Freitag auch nur eine Aussprache
geben, bei der jedes Land seine Prioritäten und roten Linien darlegt.
Ins Detail soll es dann bei einem persönlichen Treffen der Staats-
und Regierungschefs im Juli gehen. EU-Ratschef Michel, aber auch die
Bundesregierung, hofft dann auf eine Einigung.

Die Streitfragen betreffen unter anderem das Gesamtvolumen des
Pakets, sowie die Frage, ab wann der Kredit abbezahlt werden soll.
Aber auch die Bedingungen, unter denen das Geld fließen wird, sind
schwer umstritten. Einige Staaten wie die Niederlande und Österreich
fordern strenge Reformvorgaben, andere Länder wie Italien und Spanien
verbitten sich zu viel Einflussnahme von Außen. Auch der Anteil an
Zuschüssen war noch offen. Die sogenannten sparsamen Vier -
Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande - haben Bedenken,
Geld, das als Kredit aufgenommen wurde, als Zuschüsse zu vergeben.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz ließ am Freitag jedoch
Verhandlungsbereitschaft erkennen, indem er Zuschüsse nicht
rundheraus ablehnte. Sein Land lege Wert darauf, dass die geplanten
Milliarden-Kredite und -Zuschüsse nur für sinnvolle Projekte wie
Digitalisierung und Ökologisierung ausgegeben werden sollten, sagte
er in Wien. Zugleich betonte er, es müsse sich um eine einmalige
Aktion mit einem engen zeitlichen Rahmen handeln.

Tatsächlich ist der Vorschlag von der Leyens genauso angelegt. Danach
soll die Schuldentilgung 2028 beginnen und spätestens 2058
abgeschlossen sein. Auch Auflagen sind in von der Leyen Plänen
vorgesehen.

Das Europaparlament, das dem Kompromiss der EU-Staaten noch zustimmen
muss, mahnte am Freitag zur Eile. «Zeit ist ein Luxus, den wir uns
nicht leisten können», sagte der Parlamentspräsident David Sassoli.
Er machte deutlich, dass das Aufbauprogramm keinesfalls kleiner als
750 Milliarden Euro ausfallen dürfe. «Wir werden keinen Rückzug von
dieser Ausgangsposition akzeptieren.» Das Parlament müsse sowohl bei
den Verhandlungen als auch später an der Kontrolle der Mittel
beteiligt werden.

Neben dem Wiederaufbauplan sollten am Freitag der Stand der
Brexit-Verhandlungen sowie die Verlängerung der Sanktionen gegen
Russland wegen des Vorgehens in der Ukraine Thema des Gipfels sein.