Merkel will Europa gestärkt aus der Corona-Krise führen Von Ulrich Steinkohl, Jörg Blank, Ruppert Mayr, Sascha Meyer und Teresa Dapp, dpa

Europa gestärkt aus der Corona-Krise bringen - schon weil seine
Konkurrenten und Gegner nur darauf warten, dass es geschwächt ist.
Das ist eine Art Regierungsprogramm für die deutsche
EU-Ratspräsidentschaft. Im Bundestag nennt die Kanzlerin Details.

Berlin (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will Deutschlands
EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um Europa gestärkt aus der
Corona-Krise zu führen. «Wir müssen einerseits die Folgen der Krise
bewältigen, aber zugleich auch Europa widerstandsfähiger und
zukunftsfähiger machen», sagte sie am Donnerstag im Bundestag in
einer Regierungserklärung. Die Ratspräsidentschaft geht am 1. Juli
für ein halbes Jahr auf Deutschland über. «Wir übernehmen diese
Verantwortung in einer Zeit, in der die Europäische Union der größten

Herausforderung ihrer Geschichte gegenübersteht», sagte Merkel, die
sich überzeugt zeigte, dass Europa diese Aufgabe bewältigen könne.

Die Kanzlerin verteidigte den geplanten milliardenschweren
EU-Wiederaufbaufonds zur Bewältigung der Folgen der Pandemie als
Mittel gegen Radikale und Spaltung in Europa. «Wir dürfen nicht naiv
sein: Die antidemokratischen Kräfte, die radikalen, autoritären
Bewegungen, warten ja nur auf ökonomische Krisen, um sie dann
politisch zu missbrauchen», warnte sie.

In der Debatte drang die FDP darauf, den Wiederaufbau in der EU für
Strukturreformen zu nutzen. Die Grünen verlangten, ein Schwergewicht
der Ratspräsidentschaft auf den Klimawandel zu legen, die Linke
forderte mehr Solidarität mit den Schwächsten in der EU ein. Die AfD
kritisierte die zusätzlichen Milliarden-Belastungen Deutschlands, das
selbst hart von der Krise getroffen sei.  

«Die Pandemie zeigt uns: Unser Europa ist verwundbar», betonte die
Kanzlerin. Deshalb seien Zusammenhalt und Solidarität noch nie so
wichtig wie heute gewesen. «Gemeinsam Europa wieder stark machen, das
genau ist das Motto der deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Dafür wird
sich Deutschland, dafür wird sich die Bundesregierung, dafür werde
ich mich mit aller Kraft und Leidenschaft in unserer deutschen
Ratspräsidentschaft einsetzen.» Merkel räumte ein, dass sich Europa
zu Beginn der Krise «unvernünftig» verhalten habe: «Die ersten
Reflexe, auch unsere eigenen, waren eher national und nicht
durchgehend europäisch.»

Auch aus Merkels Sicht muss Europa die Krise nutzen, um wichtige
Reformen voranzubringen. Wie es die Krise bewältige, werde über den
Wohlstand seiner Bürger und seine Rolle in der Welt entscheiden.
Zugleich befinde sich Europa in einem tiefgreifenden Umbruch. Merkel
verwies auf Klimawandel und Digitalisierung. Die Antwort dürfe keine
Rückkehr zur Vergangenheit sein, «sondern muss den Wandel in ein
neues Arbeiten und Wirtschaften stärken und beschleunigen».

Davon hänge es ab, ob es anschließend in Europa noch kreative und
wettbewerbsfähige Unternehmen und nachhaltig gesicherte Arbeitsplätze
gebe, sagte Merkel. «Und wir wissen, dass Andere in der Welt nicht
ruhen, sondern sehr entschlossen und sehr robust handeln.»

Die Kanzlerin und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten einen
Hilfsfonds in Höhe von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen. Kritiker in
der EU wie Österreich und Dänemark lehnen einen solchen Fonds ab,
weil das Geld in Form von nicht zurückzuzahlenden Zuschüssen vergeben
werden soll. Die EU-Kommission präsentierte anschließend einen
Wiederaufbauplan im Wert von 750 Milliarden Euro. Dieser soll auf
Kredit finanziert und bis 2058 abbezahlt werden.

Merkel sagte, sie werde sich für eine möglichst schnelle Einigung -
am besten noch vor der Sommerpause - über den mehrjährigen
Finanzrahmen der EU und den Wiederaufbaufonds einsetzen.

FDP-Chef Christian Lindner mahnte ebenfalls konkrete Strukturreformen
beim Wiederaufbau in Europa an. «Das Geld darf nicht eingesetzt
werden, um Strukturdefizite erneut mit Geld zuzuschütten», sagte er.
«Das Ziel muss sein, dass es nach Corona besser ist als vorher und
wir endlich lange bekannte Strukturdefizite abgestellt haben.»

Die Grünen forderten die Kanzlerin auf, den Klimaschutz in den
Vordergrund zu stellen. «Machen Sie diese Ratspräsidentschaft zur
Klima-Präsidentschaft», sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt.

Konkret solle die Bundesregierung sich für ein Klimaschutzziel 2030
von 65 Prozent weniger Treibhausgasen in der EU im Vergleich zu 1990
einsetzen sowie für jährliche Emissionsbudgets.

Der SPD-Europapolitiker Martin Schulz verlangte den Umbau der EU «zu
einer echten Solidarunion», in der jedes Mitglied den Beitrag leiste,
zu dem es fähig sei. Deutschland müsse in seiner Ratspräsidentschaft

den Zusammenhalt und Schwung nutzen, der durch die Corona-Krise unter
den EU-Ländern entstanden sei. Selten hätten die Menschen in Europa
so sehr im selben Boot gesessen wie in der Pandemie. «Das Beste, was
Europa der Welt zu bieten hat, ist Einigkeit, die stark macht.»

Die Linke forderte Merkel auf, in den kommenden sechs Monaten für
mehr Gerechtigkeit und Solidarität in Europa zu sorgen. Die Krise
treffe die Ärmsten am härtesten, sagte Fraktionschefin Amira Mohamed
Ali. Über eine Vermögensabgabe für Milliardäre und Multimillionär
e
werde aber nicht gesprochen. «Nach Ihren Konzepten werden am Ende die
Kosten der Krise von den Familien, den Arbeitnehmerinnen, den
Rentnern in Paris, Rom und Berlin bezahlt werden.»

Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel warf der Kanzlerin vor, den
Bürgern keinen reinen Wein über die zusätzlichen Milliarden-Zahlungen

Deutschlands an die EU einzuschenken. «In dieser Situation haben wir
keine Milliarden zu verschenken, denn wir müssen uns selbst helfen.»
Deutschland habe genügend eigene Probleme. «Unserem Land droht eine
nie da gewesene Welle von Arbeitslosigkeit und Unternehmenspleiten»,
warnte Weidel.