Trotz steigender Fahrgastzahlen bleibt Lage im ÖPNV angespannt

Busse und Bahnen werden wieder voller. Doch von Fahrgastzahlen wie
vor der Corona-Krise ist der öffentliche Nahverkehr noch weit
entfernt. Aus Sicht der Branche sind nun kreative Angebote gefragt,
die auch die Verkehrswende beschleunigen könnten.

Berlin (dpa) - Die Menschen fahren trotz der anhaltenden Corona-Krise
wieder mehr Bus und Bahn - doch die Lage im öffentlichen Nahverkehr
(ÖPNV) bleibt angespannt. «Wir sind jetzt bei 40, 50 teilweise auch
60 Prozent der Nachfrage und fahren aber 100 Prozent der Leistungen»,
sagte der Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV),
Ingo Wortmann, am Donnerstag. Weil Verkehrsunternehmen keine Gewinne
machten, gebe es keine Rücklagen, um die finanziellen Folgen der
Krise abzufedern. Auf mindestens 5 Milliarden Euro schätzt die
Branche die Schäden der Pandemie

Wie schnell sich die Situation erhole, hänge auch davon ab, ob es
eine zweite Infektionswelle geben werde. «Wenn die ausbleibt, hoffe
ich, dass wir irgendwann im nächsten Jahr wieder auf Normalniveau
sind», sagte Wortmann mit Blick auf die Fahrgastzahlen. Nach wie vor
seien Großveranstaltungen verboten und der Tourismus müsse erst
wieder anlaufen.

Hilfe kam zunächst vom Bund. Im Konjunkturpaket legte dieser fest,
die für die Finanzierung des Regionalverkehrs aufgewendeten
Regionalisierungsmittel einmalig um 2,5 Millionen Euro zu erhöhen.
Wortmann begrüßte die Maßnahme. Zudem lobte er die ebenfalls darin
beschlossene Senkung der EEG-Umlage sowie Förderungen von Busflotten
mit alternativen Antrieben. Die Länder hätten bereits weitere
Unterstützung zugesagt.

Das Geld verschafft den Unternehmen Luft zum atmen. Viel Spielraum,
um etwa über finanzielle Anreize auch Kunden zurückzugewinnen,
erlauben die Mittel allerdings nicht.

So ist im Konjunkturpaket auch eine Mehrwertsteuersenkung vorgesehen.
Was und wie viel davon die Verkehrsunternehmen an die Kunden
weitergeben werden, werde nun geprüft, sagte Wortmann. Bei
Einzelfahrscheinen ergebe das wenig Sinn, sagte er. Wenn überhaupt,
seien Senkungen bei den höherpreisigen Abonnements denkbar. Ein
Großteil der Einsparungen könne aber auch für weitere
Hygienemaßnahmen eingesetzt werden.

Er appellierte an die Verbandsmitglieder, kreative Lösungen zu finden
- nicht zuletzt mit Blick auf die Verkehrswende. Neue
Mobilitätsangebote wie Carsharing, Leihräder oder E-Tretroller
könnten demnach künftig Bestandteil von ÖPNV-Abos sein, schlug der
Präsident vor. «Das wäre dann auch attraktiv für diejenigen, die ma
l
einen Tag lang nicht zur Arbeit fahren, aber einkaufen gehen und
dafür ein Leih-Auto brauchen.»

Damit machte sich Wortmann für einen Ansatz stark, den viele
Verkehrsunternehmen schon vor der Krise in Angriff genommen
haben: Die Integration mehrerer Mobilitätsangebote auf einer
Plattform, um es Nutzern möglichst einfach zu machen, von A nach B zu
kommen. Die Berliner Verkehrsbetriebe etwa bündeln zahlreiche
Angebote auch anderer Dienstleister in einer gemeinsamen App. Die
Deutsche Bahn wiederum bietet schon seit Jahren per Handy
aufschließbare Leihfahrräder an.

Die Corona-Krise hat die Mobilität der Menschen stark eingeschränkt.
Doch die Verkehrswende sieht Wortmann deshalb nicht in Gefahr. «Wir
haben das Angebot nicht so weit heruntergefahren, dass wir es nur mit
Mühen wieder hoch fahren können», sagte er. «Wenn wir das gut mache
n,
dann bremst Corona nicht die Verkehrswende aus.»