Corona-Ausbruch bei Tönnies: Frust, Streit, offene Fragen

Hunderte Corona-Infizierte beim Schlachtbetrieb Tönnies in
Ostwestfalen schrecken auf. Die Suche nach den Ursachen läuft unter
Hochdruck. Eltern sind sauer. Im Unternehmen tobt ein interner
Streit.

Rheda-Wiedenbrück (dpa/lnw) - Nach dem Corona-Ausbruch mit mehr als
650 Neuinfizierten im Schlachtbetrieb des Branchenriesen Tönnies
läuft die Ursachenforschung mit Hochdruck. Zugleich protestierten
einige Eltern und Kinder am Donnerstag gegen die Schließungen von
Schulen und Kitas im gesamten Kreis Gütersloh. Und im Unternehmen
wurde intern heftig gestritten.

Deutschlands Marktführer bei der Schweine-Schlachtung hatte am
Mittwoch nach dem Corona-Großausbruch seinen Hauptproduktionsbetrieb
in Rheda-Wiedenbrück vorläufig stoppen müssen. Zudem hatte der Kreis

verfügt, dass alle Schulen und Kitas bis zu den Sommerferien wieder
geschlossen werden, um eine Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung
zu vermeiden.

Der Leiter des Pandemiestabs bei Tönnies, Gereon Schulze Althoff,
hatte die Kälte in der Produktion und die Heimreisen der
Beschäftigten nach Osteuropa an den zurückliegenden langen
Wochenenden - Pfingsten und Fronleichnam - als mögliche Faktoren für
die Ausbreitung des Coronavirus genannt. Dazu meinte eine Expertin
für Infektionskrankheiten am Donnerstag, sie halte es für «extrem
unwahrscheinlich», dass Hunderte Corona-Fälle auf solche
Familienbesuche zurückgehen. «Die Inkubationszeit beträgt im Mittel
fünf Tage, so dass ein Wochenendbesuch kaum so eine große Anzahl an
Personen erklären kann», sagte Isabella Eckerle von der Abteilung für

Infektionskrankheiten der Universität Genf.

Und die Kälte? Als weitgehend gesichert gilt, dass die Ausbreitung
des Virus derzeit durch einen Sommereffekt vermindert wird -
allerdings wohl nur ein bisschen. Wie infektiös Aerosole unter
Kühlhausbedingungen sind, lässt sich dagegen noch nicht sagen.
Prinzipiell könnten sie sich in geschlossenen Räumen über Stunden
halten und infektiös sein, erläuterte der frühere Präsident der
Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, Gerhard
Scheuch.

Unterdessen machten einige Familien ihrem Unmut über die Kita- und
Schulschließungen Luft. Laut WDR protestierten einige Dutzend Eltern
mit ihren Kindern auch vor dem privaten Tönnies-Anwesen in
Rheda-Wiedenbrück. Auch vor dem Werk wollten Lehrer und Eltern
protestieren. Bei der Polizei hieß es allerdings, es sei keine
Demonstrationen angemeldet. Der Landrat des Kreises Gütersloh,
Sven-Georg Adenauer (CDU), hatte die Schließungen als «probates
Mittel» bezeichnet. Er wisse aber, dass Eltern «jetzt sauer sind».
Für den gesamten Kreis will Adenauer einen allgemeinen Lockdown
verhindern.

Der Corona-Ausbruch führte unterdessen auch zur nächsten Runde des
schwelenden Streits der Inhaber: Robert Tönnies, Mitinhaber des
Schlachtbetriebs, forderte in einem Brief den Rücktritt seines Onkels
Clemens Tönnies aus der Geschäftsleitung. In dem Schreiben vom
Mittwoch wirft Robert Tönnies der Geschäftsleitung und dem Beirat des
Konzerns unverantwortliches Handeln sowie die Gefährdung des
Unternehmens und der Bevölkerung vor. Robert Tönnies (42 Jahre) hält

wie sein Onkel Clemens (64) 50 Prozent an dem Unternehmen. Seit
Jahren streiten beide um Führung und Ausrichtung des Konzerns.

Die Schweinemäster aus Westfalen-Lippe äußerten sich besorgt wegen
der ausgesetzten Produktion. «Es wird vor allem darauf ankommen, wie
sich das weiterentwickelt. Ein, zwei Wochen können die Bauern die
Situation vergleichsweise verlustarm überbrücken. Dauert die
Schließung länger, kommen auf die Schweinemastbetriebe Probleme zu»,

sagte Hans-Heinrich Berghorn, Sprecher des westfälisch-lippischen
Landwirtschaftsverbandes.

Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen haben in den vergangenen Monaten
immer wieder Schlagzeilen gemacht und eine Debatte über die
Missstände bei Arbeits- und Unterbringungsbedingungen der häufig aus
Osteuropa stammenden Beschäftigen ausgelöst.