«Judenstern» und Häftlingsanzug: Antisemitismus in der Corona-Krise Von Sebastian Engel und Martina Herzog, dpa

Das Coronavirus macht Angst. Verschwörungstheorien bieten einfache
Antworten. Und greifen nicht selten auf alte Feindbilder zurück.

Tel Aviv/Berlin (dpa) - Ein gelber «Judenstern» auf dem Ärmel, mit
dem Wort «Ungeimpft». Ein Mann in gestreifter Kleidung, die der
Uniform eines KZ-Häftlings nachempfunden ist. In der Hand ein Schild
mit der Aufschrift «Maske macht frei» - eine Anspielung auf den
Spruch im Torbogen des Vernichtungslagers Auschwitz, «Arbeit macht
frei». Bei den sogenannten Hygiene-Demonstrationen in Deutschland
sind auch Menschen unterwegs, die vor dem Vergleich der
Corona-Maßnahmen mit dem Holocaust nicht zurückschrecken. Die
Sicherheitsbehörden warnen vor einer Unterwanderung der Proteste
durch Rechtsextremisten.

Die Sorge um die eigene Existenz, die Angst vor Freiheitsverlusten
dürfte viele Teilnehmer zu den Demonstrationen treiben. Doch in der
Krise haben auch Verschwörungstheorien Hochkonjunktur, die versuchen,
die diffuse, nur teilweise erforschte neue Bedrohung mit einem
Komplott zu erklären. Auch judenfeindliche Theorien kursieren. «Die
Corona-Krise wirkt sich dabei leider verstärkend aus, so dass wir
auch in diesem Jahr massiv mit Antisemitismus konfrontiert sind»,
sagt der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster.

«Nicht jeder, der einem Verschwörungsglauben anhängt, muss
überzeugter Antisemit sein. Es gibt vielleicht auch
Verschwörungsmythen ohne explizit antisemitische Elemente», meint der
Antisemitismus-Forscher Samuel Salzborn. «Aber bei den großen
Verschwörungserzählungen gibt es immer auch Vorwürfe gegen Jüdinnen

und Juden.» Spätestens bei der zweiten Teilnahme an einer
Hygiene-Demo wisse jeder, mit wem er da protestiere.

Ob die Anhänger solcher Theorien Juden persönlich kennen, sei
irrelevant. «Es gibt markante Unterschiede zwischen Antisemitismus
und Rassismus», sagt Salzborn. «Antisemitismus hat nichts mit
Judentum oder Jüdinnen und Juden zu tun, sondern vielmehr mit dem
Antisemiten.»

Die neue, alte Judenfeindlichkeit treibt nicht nur jüdische
Organisationen hierzulande um, sie beschäftigt auch die israelische
Regierung. «Leider ist es nicht neu, Juden für etwas verantwortlich
zu machen», sagt die Ministerin für strategische Angelegenheiten,
Orit Farkasch-Hacohen. Tatsächlich tauchen bei den Demonstrationen
gegen die Corona-Maßnahmen Verschwörungstheorien auf, die sich seit
Jahrhunderten halten.

Eine Umfrage der Universität Oxford ergab kürzlich, dass vier Fünftel

der befragten Briten der These «Juden haben das Virus erschaffen, um
die Wirtschaft lahmzulegen und finanziellen Profit daraus zu ziehen»
nicht zustimmen. Ein Fünftel aber äußert zumindest ein wenig
Zustimmung. Die Verschwörungstheorie, die Juden oder Israel würden
das Virus einsetzen oder verbreiten, um politisch oder wirtschaftlich
zu profitieren, zählt zu den am meisten verbreiteten. In Israel wird
das natürlich genau verfolgt.

«Was wir nun sehen ist, dass anti-israelische Aktivisten schamlos den
Deckmantel des Coronavirus ausnutzen, um ihre Hassreden zu
verbreiten», sagt Farkasch-Hacohen. Ihr Ministerium sieht einen
«besorgniserregenden Aufwärtstrend von Antisemitismus und
Bestrebungen, den Staat Israel zu delegitimieren»

Demnach lassen sich die antisemitischen Verschwörungstheorien in zwei
Bereiche untergliedern: «klassischer Antisemitismus» gegen Juden, der
vor allem von Rechten betrieben wird und sich an jahrhundertealte
Verleumdungen anlehnt, und «neuer Antisemitismus», der sich gegen den
Staat Israel richtet und von Ländern wie dem Iran oder der
Palästinensischen Autonomiebehörde sowie der Hamas verfolgt wird.

Antisemitismus-Forscher Salzborn sieht es so: «Wer sich antisemitisch
äußern möchte, nutzt oft den rhetorischen Deckmantel der
Israelkritik. Das soll einem tatsächlichen oder erwarteten
Antisemitismus-Vorwurf entgegentreten - lenkt damit aber vom Inhalt
des Gesagten ab.» Das sei eine Strategie, um den demokratischen
Konsens in Deutschland zu unterlaufen, und sie sei von sachlicher
Kritik an Israel zu unterscheiden.

Dem israelischen Ministerium zufolge wird die zunehmende
antisemitische Rhetorik auch von Gewaltandrohungen gegen Juden und
Israelis begleitet. Diese könnten in die Tat umgesetzt werden, so die
Befürchtung, wenn die Corona-Beschränkungen alle wieder aufgehoben
sind. Dies geschieht derzeit schrittweise in den meisten Ländern. Das
Ministerium dringt deshalb auf verstärkte nachrichtendienstliche
Tätigkeiten, ein hartes Durchgreifen der Strafverfolgungsbehörden und
umfassende Sicherheitsmaßnahmen, physisch und technologisch.

Die Stadt München hat die Verwendung des «Judensterns» auf
Corona-Demonstrationen inzwischen verboten. Wer gegen das Verbot
verstößt, muss mit einem Bußgeld rechnen.

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