Corona in Fleischfabrik: Kritik an Zuständen, mehr als 200 Infizierte Von Dorothea Hülsmeier, dpa

Der Kreis Coesfeld muss auf die lang ersehnten weiteren
Erleichterungen in der Corona-Krise vorerst verzichten. Grund ist der
Corona-Ausbruch in einem Fleischbetrieb. Mehr als 200 Mitarbeiter
wurden bereits positiv getestet.

Düsseldorf/Coesfeld (dpa) - Nach dem Corona-Ausbruch in einem
Fleischbetrieb in Coesfeld mit mehr als 200 infizierten Arbeitern
gibt es massive Kritik an den Zuständen in der Fabrik. Das
Verwaltungsgericht Münster lehnte am Sonntag einen Eilantrag der
Firma Westfleisch gegen die befristete Schließung des betroffenen
Schlacht- und Zerlegebetriebes ab. Der Betrieb sei «aufgrund
ersichtlich unzureichender Vorsichtsmaßnahmen» zu einer «erheblichen

epidemiologischen Gefahrenquelle» nicht nur für die Belegschaft
geworden, hieß es in der Begründung. Gewerkschaften forderten
schärfere Kontrollen und grundlegend bessere Arbeitsbedingungen in
allen Fleischbetrieben.

Die Zahl der positiv auf das Coronavirus getesteten Arbeiter in dem
Betrieb stieg bis Sonntagnachmittag nach Angaben des Kreises auf 230
an. Die Ergebnisse von rund 250 der fast 960 Tests standen noch aus.
Erneut waren am Sonntag Teams des Gesundheitsamtes vor Ort, um die
Arbeiter in ihren verstreut im Kreis Coesfeld liegenden Unterkünften
zu testen und über die Quarantäne zu belehren, wie ein Kreissprecher
sagte. Dabei unterstützten sie Dolmetscher. Insgesamt hat der
betroffene Betrieb rund 1200 Beschäftigte. Die Arbeiter sind nach
Angaben von Westfleisch mehrheitlich in Wohnungen mit drei, vier oder
fünf Personen untergebracht. Viele Arbeiter in der Fleischbranche
kommen aus Osteuropa.

Für den Kreis Coesfeld sind die Konsequenzen des Corona-Ausbruches
schwerwiegend. Viele der von Montag an landesweit geplanten
Lockerungen der Corona-Auflagen etwa für Gaststätten und Geschäfte
wurden um eine Woche verschoben. Damit reagierte der Kreis auf die
erst am vergangenen Mittwoch getroffenen Bund-Länder-Vereinbarungen.
Diese sehen bei Überschreiten eines bestimmten Grenzwertes der
Neuinfektionen umgehend ein konsequentes Beschränkungskonzept vor.
Außerdem sollen die bis zu 20 000 Mitarbeiter aller Schlachtbetriebe
in Nordrhein-Westfalen auf das Corona-Virus getestet werden.

Der Kreis Coesfeld hatte die Schließung der Westfleisch-Fabrik von
Samstag bis 18. Mai verfügt. Es sei davon auszugehen, dass es noch
eine unbestimmte Anzahl von Corona-Verdachtsfällen oder Ansteckungen
dort gebe, hieß es in dem Gerichtsbeschluss. Westfleisch kann dagegen
innerhalb von zwei Wochen Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht NRW
einlegen.

Das Amt für Arbeitsschutz habe bei einer Überprüfung festgestellt,
dass es sowohl im Bereich des Zerlegebandes als auch in den Umkleiden
Probleme gebe, den Mindestabstand von 1,50 Metern einzuhalten, so das
Gericht. Die Mund-Nasen-Schutzmasken würden am Zerlegeband nicht
korrekt getragen. Die Firma sei nicht in der Lage gewesen,
Infektionsschwerpunkte zu benennen.

Westfleisch zeigte sich betroffen. Man stehe mit den insgesamt rund
5400 Beschäftigten und den Landwirten im engen Austausch. Westfleisch
arbeite «unter Hochdruck» an Lösungen für die Landwirte. Unter
Berufung auf den Westfälisch-Lippischen-Landwirtschaftsverband (WLV)
teilte das Unternehmen mit, dass rund 1000 Schweinemäster den
Westfleisch-Standort Coesfeld beliefern.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) rechtfertigte den Stopp der
Auflagenlockerungen. «Wenn man öffnet, muss man da, wo Gefahr ist,
konsequent handeln», sagte Laschet am Samstag in Bochum. «Der Schutz
der Bevölkerung steht vor allem.»

Der Grünen-Ortsverband in Dülmen im Kreis Coesfeld warf der
Verwaltung vor, zu spät auf den Corona-Ausbruch reagiert zu haben.
Schon zu Beginn der vergangenen Woche sei bekannt gewesen, dass sich
in der Fleischfabrik ein Hotspot der Pandemie gebildet habe. Der
Betrieb sei aber noch bis Freitag weitergelaufen.

Auch der Kreis Steinfurt im Münsterland testete unter Hochdruck
Bewohner von Sammelunterkünften, die insbesondere in
fleischverarbeitenden Betrieben arbeiten. Insgesamt rund 1700
Bewohner in etwa 100 Unterkünften seien aus nahezu allen Städten und
Gemeinden gemeldet worden, teilte der Kreis mit.

Laut einer Übersicht des Robert Koch-Instituts (RKI) und nach Angaben
der Bezirksregierung Münster vom Sonntag lag die Zahl der
Neuinfektionen im Kreis Coesfeld bei rund 85 pro 100 000 Einwohner
und Woche (Stand 10.5. 00.00 Uhr). Nach Angaben des RKI vom Samstag
hatte dieser Durchschnittswert noch 76 betragen (Stand 9.5. 00.00
Uhr). Außer Coesfeld lagen alle anderen Kreise und kreisfreien Städte
in NRW deutlich unter dem von Bund und Ländern vereinbarten Grenzwert
von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in den vergangenen sieben
Tagen.

Unterdessen kam eine Debatte über die Arbeits-und
Gesundheitsbedingungen in Schlachthöfen auf. DGB-Vorstandsmitglied
Anja Piel sagte: «In Schlachthöfen muss deutlich mehr unternommen
werden, um die Risiken für Sicherheit und Gesundheit der
Beschäftigten zu reduzieren.» Die Branche falle seit Jahren immer
wieder mit miserablen Arbeitsbedingungen auf.

Der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten
(NGG), Freddy Adjan, sagte: «Diese Krise macht deutlich, wie
überfällig es ist, auf Stopp zu drücken und den ruinösen Preiskampf

beim Fleisch zu beenden.» Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
rief die zuständigen Länder zum Durchgreifen und zu Kontrollen der
Arbeitsschutzregeln auf.

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