400 Jahre Karussell - Doch Schausteller haben nichts zu feiern Von Petra Albers und Irena Güttel, dpa
Keine Achterbahnen, keine Losbuden, kein Mandelduft: Volksfeste sind
wegen der Corona-Krise abgesagt. Entsprechend düstere Stimmung
herrscht bei den Schaustellern. Dabei hätten sie eigentlich Grund zum
Feiern gehabt: Das Karussell wird 400 Jahre alt.
Köln/Burgthann (dpa) - Kinderaugen leuchten, Haare fliegen im Wind,
dazu ein bisschen Dideldum-Musik - seit 400 Jahren drehen Karussells
ihre Runden. Mögen auf den großen Volksfesten heutzutage zwar rasante
Super-Bahnen als Attraktionen gelten - das klassische Karussell darf
auch dort nicht fehlen und zieht vor allem kleine Kinder magisch an.
Am 17. Mai 1620 wurde in der osmanischen Handelsstadt Philippopel -
heute Plowdiw in Bulgarien - das erste Karussell in Betrieb genommen.
Die einfache Konstruktion bestand aus einem großen Wagenrad, das mit
Sitzpolstern bestückt war und per Handkurbel in Bewegung gesetzt
wurde.
Zunächst wurden die Karussells von Menschenhand oder von Pferden
angetrieben. Im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert gab es
in England die ersten dampfgetriebenen Karussells, später setzten
Elektromotoren sie in Bewegung.
«Die Schausteller haben die technischen Möglichkeiten immer sofort
aufgegriffen», sagt Susanne Köpp-Fredebeul, die ein Buch über die
Geschichte der Karussells geschrieben hat.
Auch die Sitzgelegenheiten änderten sich je nach Trend: Waren erst
mal lange Zeit Pferdchen angesagt, kamen später Autos, Lokomotiven
oder Comicfiguren dazu. Das weltweit älteste erhaltene feststehende
Karussell aus dem Jahr 1780 steht im Staatspark Hanau-Wilhelmsbad und
wurde nach einer aufwendigen Restaurierung 2016 wieder in Betrieb
genommen.
Auf den heutigen Kirmesplätzen fällt das gemütliche Kinderkarussell
zwischen all den rasanten Fahrgeschäften fast aus dem Rahmen.
Gänzlich unbeeindruckt vom «Höher und Schneller» rundherum dreht es
sich weiter treu und beständig im Kreis - und findet noch immer seine
Fans.
Doch in diesem Jahr ist alles anders. Wegen der Corona-Krise gibt es
keine Kirmes, Karussells stehen genauso still wie Achterbahnen oder
Autoscooter. Volksfeste sind bis mindestens 31. August verboten. Das
Münchner Oktoberfest ist abgesagt. Auch andere Jahrmärkte, die für
den Herbst geplant waren, sind vorsorglich schon mal abgeblasen
worden. Eine Katastrophe für die Schausteller.
Johannes Braun steht auf seinem Hof in Burgthann bei Nürnberg und
glättet mit Schleifpapier vorsichtig ein paar Kratzer an einem
kleinen weißen Pferd. Später will er es noch mit Klarlack bearbeiten,
damit es wieder im vollen Glanz seine Runden auf dem Kinderkarussell
drehen kann. «Wir nutzen jetzt die Zeit, um solche Kleinigkeiten zu
machen», sagt Braun und seufzt. Wäre nicht die Corona-Pandemie, wäre
er jetzt ganz woanders, ständig unterwegs von einem Volksfest zum
anderen.
«Heute würde ich den Autoscooter wieder aufbauen», sagt Braun und
blickt wehmütig auf die ganzen Fahrzeuge, die unbenutzt
herumstehen: Der Autoscooter, das Karussell, zwei Spielbuden, ein
Süßwarenstand, mehrere Lastwagen und der 16 Meter lange Wohnwagen, in
dem die Familie während der Monate auf Achse lebt. «Das ist das erste
Mal in meinen 39 Jahren, dass ich hier sitze. Das ist schwer», sagt
Braun, der den Familienbetrieb in siebter Generation zusammen mit
seiner Mutter führt.
«Ohne staatliche Hilfe werden einige unserer gut 5000 Betriebe diese
Krise nicht überleben», meint der Präsident des Deutschen
Schaustellerbunds (DSB), Albert Ritter. Ihre letzten Einnahmen hatten
die Schausteller bei den Weihnachtsmärkten. In der folgenden
Winterpause haben viele kräftig investiert, um ihre Fahrgeschäfte
wieder fit für den Frühling zu machen. Die Rücklagen sind
aufgebraucht. Um Ostern herum geht normalerweise die Saison wieder
los. Dieses Jahr dagegen: nichts.
Der DSB fordert neben Nothilfen nun einen Rettungsschirm für die
Branche. «Kredite helfen uns nicht weiter», sagt Ritter. Denn die
müssen irgendwann zurückgezahlt werden. Doch der verloren gegangene
Umsatz sei nicht nachholbar. «Wir sind auch systemrelevant», meint
der DSB-Präsident. «Spaß und Freude sind für die Menschen wichtig.
»
Schausteller zu sein, das sei für ihn mehr als nur ein Beruf, sagt
Johannes Braun. «Die Begegnung mit den Menschen, die Kinderaugen
leuchten zu sehen» - all das fehle ihm jetzt. Er hat Nothilfe
beantragt und die Hälfte inzwischen ausgezahlt bekommen. Doch mit der
gesamten Summe könne er sich nicht einmal einen Monat über Wasser
halten, sagt er.
Um wenigstens etwas Geld zu verdienen, hat er sich etwas
ausgedacht: Vor einem großen Supermarkt in einem Gewerbegebiet hat er
seinen zweiten, etwas kleineren Süßigkeitenstand aufgebaut. Braun
kurbelt die Rolladen hoch und wirft die Maschine für gebrannte
Mandeln an. Nach kurzer Zeit weht der typische Volksfestduft über den
Schotter-Parkplatz. «Es ist jetzt nicht der Reißer. Aber die Leute
sind begeistert», sagt er und betont: «Das ist nur eine
Überbrückungsaktion.»
Durch Corona ist seine berufliche Zukunft plötzlich unsicher
geworden. «Man schläft unruhig, man denkt viel nach», sagt Braun.
Trotzdem versucht er, zuversichtlich zu bleiben - und träumt davon,
dass sich sein Kinderkarussell bald wieder auf einer Kirmes dreht.
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