Forscher stellen Entscheidungen zu Corona-Lockerungen infrage

Öffnung der Gastronomie und aller Geschäfte, schrittweise Rückkehr
aller Schüler an die Schulen, Training im Freizeitsport erlaubt und
eine Notbremse: Bund und Länder haben weitreichende Lockerungen der
Anti-Corona-Maßnahmen vereinbart. Doch Forscher sind skeptisch.

Köln/Halle (dpa) - Bund und Länder haben ihre weitreichenden
Lockerungen in der Corona-Krise aus Sicht des Infektionsforschers
Michael Meyer-Hermann zu früh getroffen. In den vergangenen Tagen sei
die Zahl der Neuinfektionen wieder gestiegen, erläuterte der Leiter
der Abteilung System-Immunologie am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum
für Infektionsforschung am Donnerstag. Die genauen Ursachen seien
noch ungewiss. Skepsis gibt es auch an der vereinbarten sogenannten
Notbremse, wonach ab 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner in sieben
Tagen ein Beschränkungskonzept greifen soll. Der Wert erscheine weit
über den derzeitigen Kapazitäten der Gesundheitsämter zu liegen,
sagte Rafael Mikolajczyk, Epidemiologe und Institutsdirektor der
Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg.

Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer kritisierte: «Wir wollen zu
viel auf einmal.» Er sagte «hessenschau.de»: «Das kann gewaltig nac
h
hinten losgehen.» Er habe große Zweifel, ob die Sicherheitsmaßnahmen

in der Gastronomie bei allen Bemühungen ausreichend eingehalten
werden können. «Beim Essen muss man eben den Mundschutz abnehmen.»

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der
Bundesländer hatten am Mittwoch Corona-Lockerungen beschlossen wie
die Öffnung der Gastronomie und aller Geschäfte, die schrittweise
Rückkehr aller Schüler an die Schulen und Training im Freizeitsport.
Grundlage dafür waren Infektionsdaten mit Stand Dienstag.

Der Anstieg der Zahlen von Neuinfizierten in den Folgetagen
korreliere zeitlich mit der vorherigen Öffnung erster Geschäfte,
sagte Meyer-Hermann bei einer Veranstaltung des Science Media Center
Germany. Ob dies auch der Grund sei, sei aber unklar. Um eventuelle
Verzögerungen bei der Datenübermittlung abzuwarten, wäre es aus
seiner Sicht auch besser gewesen, erst Ende dieser Woche oder gar
kommende Woche Lockerungen der Anti-Pandemie-Maßnahmen zu besprechen.

«Ich weiß nicht, wie schlimm das ist», sagte er. Doch hat die Politik

aus seiner Sicht «wahrscheinlich» eine Chance vertan, in relativ
kurzer Zeit zu so niedrigen Zahlen zu kommen, dass bei Infizierten
eine Kontaktverfolgung und eine Lockerung möglich gewesen wären.

Viola Priesemann, Leiterin der Forschungsgruppe Theorie neuronaler
Systeme am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in
Göttingen begrüßte es zwar, den Regionen Verantwortung zu geben. 
Das
könne aber nur funktionieren, wenn die Mobilität zwischen den
Regionen gering bleibe. Dafür müssten sie die Kontrolle darüber
haben, ob das Virus eingeschleppt wird, sagte Priesemann. Ansonsten
bekomme ein Landkreis, der sich viel Mühe gebe, mitunter die Folgen
zu spüren, wenn im Nachbar-Landkreis die Infektionen hoch bleiben.

Mikolajczyk hält nichts davon, Werte wie die 50 Neuinfizierten je
100 000 Einwohner binnen einer Woche von vorneherein festzuschreiben.
«Vielmehr geht es darum, dass möglichst alle Fälle und deren Kontakte

in einer Region durch die Gesundheitsämter identifiziert und isoliert
werden können», sagte er. Das hänge von den lokalen Kapazitäten ab.


«Die Regelung schafft immerhin einen gewissen Anspruch, die lokalen
Gesundheitsämter in die Lage zu versetzen, auf lokale Ausbrüche
schnell und wirksam reagieren zu können», sagte der Leiter der
Abteilung Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
in Braunschweig, Gerard Krause auf Anfrage. Das müsse in der
aktuellen und auch der zu erwartenden Situation unbedingt gegeben
sein. Wie man genau auf die oben genannte Schwelle gekommen sei,
wisse er aber nicht.

Auch Eva Grill, Professorin für Epidemiologie an der Münchner
Ludwig-Maximilians-Universität, sieht Positives in der Notbremse.
«Wobei man sehen muss, ob die als Grenze angegebene Zahl von 50 neuen
Fällen pro Woche/100 000 Einwohner tatsächlich niedrig genug ist.»

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