Insolvenzverwalter erwarten Pleitewelle Von Roland Losch, dpa
Der Pleitegeier kreist über Einzelhändlern, Hotels und
Fluggesellschaften - aber eine Branche boomt. Nach mageren Jahren
bekommen Deutschlands Insolvenzverwalter viele neue Aufträge. Die
Sanierungsexperten kämpfen jedoch mit ganz neuen Problemen.
München (dpa) - Air-Berlin-Insolvenzverwalter Lucas Flöther erwartet
bald eine Flut von Pleiten aufgrund der Corona-Krise. Nur ob sie
schon im Herbst oder erst nächstes Jahr kommt, sei noch offen: «Die
Bugwelle baut sich gerade auf», sagte er am Mittwochabend in einer
Videokonferenz des Münchner Clubs Wirtschaftspresse.
Karstadt Kaufhof, die Restaurantketten Vapiano und Maredo, das
Modeunternehmen Hallhuber und die Stadthalle Bonn-Bad Godesberg waren
im April erste prominente Opfer, die Insolvenz anmelden oder unter
einen Schutzschirm flüchten mussten. Im Tourismus, in der
Luftfahrtbranche seien nicht nur die Einnahmen jetzt komplett
weggebrochen - ihre Welt werde auch nach der Krise anders sein: «Ich
glaube nicht, dass man noch für 23 Euro nach Mallorca fliegt. Keiner
fliegt mehr für ein zweistündiges Meeting von Berlin nach Frankfurt»,
sagte der Sprecher des «Gravenbrucher Kreises» der führenden
Insolvenzverwalter. Flöther ist auch gerichtlich bestellter
Sachwalter des angeschlagenen Ferienfliegers Condor.
Unter den Autozulieferern habe es wegen der E-Mobilität schon vor der
Corona-Krise «Zombies» gegeben. Im Einzelhandel hätten die
Ladenschließungen «die Amazonisierung mit einem Turbo versehen». Auch
Gastgewerbe, Messebetreiber, Kinos und die Kulturbranche dürften
stark von Insolvenzen betroffen sein, sagte der Professor.
Laut Gesetz muss jeder Unternehmer bei drohender Zahlungsunfähigkeit
sofort beim Amtsgericht Insolvenz anmelden - zum Schutz aller
Vertragspartner und des ganzen Marktes «vor Unternehmens-Zombies, die
den Wettbewerb verzerren und andere mit in den Abgrund ziehen», so
Flöther. Die Bundesregierung hat die Antragspflicht jedoch für viele
Unternehmen bis Ende September ausgesetzt. Für viele angeschlagene
Firmen sei das allerdings «nur eine Beruhigungspille», sagte Flöther.
«Die Gefahr des Hinauszögerns besteht auf jeden Fall.»
Oft besser wäre sofort ein Schutzschirmverfahren - ein
Insolvenzverfahren light für noch zahlungs- und sanierungsfähige
Firmen. Ein gerichtlich bestellter Rechtsanwalt kontrolliert dann den
Vorstand, aber das Unternehmen ist drei Monate lang vor dem Zugriff
der Gläubiger geschützt, die Löhne werden von der Agentur für Arbei
t
bezahlt. «Da gibt es einen Schuldenschnitt, da kann man auch
langfristige Mietverträge und Arbeitsverhältnisse beenden. Das sind
echte Restrukturierungswerkzeuge», sagte Flöther. Es sei wie beim
Zahnarzt: Schmerzhaft - aber je früher, desto besser.
Sonst dürfte für viele eben ein paar «Monate später das böse Erwa
chen
kommen, weil die Bank keine weiteren Kredite mehr gibt». Denn die
Banken stünden auch bei Staatsbürgschaften nicht nur weiterhin mit
eigenem Geld im Feuer, sie könnten sich mit Darlehen sogar strafbar
machen, wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung.
Professor Volker Römermann, Leiter des Instituts für Insolvenzrecht
in Hannover, hatte bereits vor einem Bumerangeffekt gewarnt. Die
Hilfen «werde manche retten, aber viele noch tiefer in den Strudel
reißen».
Die Zahl der Insolvenzen war seit Jahren rückläufig. Laut
Statistischem Bundesamt meldeten im vergangen Jahr nur noch 18 749
Unternehmen Insolvenz an, drei Prozent weniger als im Vorjahr. «Das
waren magere Jahre für Insolvenzverwalter. Viele Kanzleien gingen vom
Markt», sagte Flöther. Trotzdem seien noch genug da, um die
Pleitewelle zu bewältigen: «Wir haben genügend Intensivbetten.»
Was ein Insolvenzverwalter verdient, entscheidet das Gericht und
bleibt meist geheim. Mit annähernd 500 Millionen Euro, dem bislang
höchsten Honorar in Deutschland, hatte Michael Frege,
Insolvenzverwalter der deutschen Lehman-Brothers-Tochter, nach der
Finanzkrise Schlagzeilen gemacht. Dafür hatte er aber auch neun Jahre
lang über 100 Anwälte und Wirtschaftsprüfer samt einem Heer von
Mitarbeitern beschäftigt und für die Gläubiger sämtliche Außenst
ände
eingetrieben: 17 Milliarden Euro.
Die Corona-Krise sei noch schlimmer als die Finanzkrise, weil sie die
gesamte Wirtschaft erfasse, sagte Flöther. Trotzdem seien jetzt keine
goldenen Zeiten für die Insolvenzverwalter angebrochen. Denn nach
Rettern, nach Investoren könnten sie jetzt lange suchen. Bei Condor
ist die polnische Fluglinie Lot soeben wieder abgesprungen. «Zum
Beispiel ein Hotel im Harz, wer kauft das? Kein Mensch!»
Und wenn Hedgefonds oder chinesische Investoren auf günstige Angebote
lauern, Stichwort «Ausverkauf des deutschen Mittelstandes»?
Sachwalter wie Insolvenzverwalter müssten immer zugunsten der
Gläubiger entscheiden, nicht im Interesse des Unternehmens oder der
Arbeitsplätze, betonte Flöther.
Die Insolvenzantrags-Pflicht werde vielleicht noch bis März
ausgesetzt. Spätestens danach würden «die kranken Tiere sterben und
aufgefressen». Schon heute zweifelten Unternehmen häufiger an der
Zahlungsfähigkeit anderer und arbeiteten nur noch gegen Vorkasse.
Leider könnten auch Gesellschafter maroder Firmen in der Frist noch
«haftungsfrei ihre Schäfchen ins Trockene bringen», zum Nachteil der
Gläubiger.
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