Stage-Chefin: «Ich hätte nie gedacht, dass so etwas passieren kann» Interview: Carola Große-Wilde, dpa
Die Corona-Krise trifft auch die Musicalbranche hart: Bis Ende August
sind alle Vorstellungen abgesagt. Stage-Chefin Uschi Neuss blickt
trotzdem optimistisch in die Zukunft.
Hamburg (dpa) - «König der Löwen», «Pretty Woman», «Tina - Da
s
Musical» und «Paramour»: Normalerweise präsentiert Stage
Entertainment jeden Abend vier Musicals in Hamburg - dazu kommen noch
Vorstellungen in den Stage-Theatern in Stuttgart und Berlin. Doch
seit in Deutschland wegen der Corona-Krise alle Musicaltheater
geschlossen sind, herrscht Flaute auf dem Unterhaltungsmarkt. Wie
Stage-Chefin Uschi Neuss ihr Unternehmen durch die Krise führen will
und warum die Rheinländerin dabei ihre Zuversicht nicht verliert,
erzählt die 54-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Frage: Seit dem 13. März sind alle Musicaltheater geschlossen. Was
bedeutet das für die Musicalbranche in Deutschland?
Antwort: Das ist schon immens. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas
überhaupt passieren kann. Da fällt etwas weg, was echt fehlt, nämlich
das Live-Erlebnis in einem Theater. Und das ist einfach weg. Das
bedeutet für uns als Firma, dass wir all das, wofür wir stehen,
gerade nicht machen können.
Frage: Wie lange kann ihr Unternehmen diese Ausnahmesituation
verkraften?
Antwort: Endlos geht so etwas nicht. Wir sind schon darauf
angewiesen, dass es wieder weitergeht. Auf jeden Fall. Aber wir haben
auch sehr schnell reagiert. Es gibt natürlich staatliche Hilfen. Wir
haben Kurzarbeit für all unsere Mitarbeiter beantragt und diese auf
80 Prozent aufgestockt. Und wir versuchen, bereits gekaufte Tickets
umzubuchen. Das ist ein wesentlicher Punkt. Das Wichtigste wird sein,
wie schnell die Menschen auch wieder Freude haben, Tickets für die
Zukunft kaufen. Die Wiedereröffnung ist natürlich das ganz große
Thema. Wann fangen wir genau wieder an? Was ist der Spielplan? Wir
haben uns sehr früh mit einem Szenario auseinandergesetzt, dass es
erst im September wieder weitergehen kann.
Frage: Wie genau soll es im Herbst weitergehen?
Antwort: Wir haben einen neuen Spielplan verabschiedet, bei dem
unsere Kunden sehen können, was wir ab September und bis weit in das
kommende Jahr hinein anbieten. Dabei gibt es einige Verschiebungen,
damit auch alle Zuschauer die Musicals sehen können, die sie sehen
möchten. So sollte das Tina-Turner-Musical eigentlich nur bis
September im Hamburger Operettenhaus gespielt werden, das haben wir
jetzt um ein Jahr bis Oktober 2021 verlängert. Dadurch kommt es jetzt
erst später nach Stuttgart.
«Mamma Mia» kommt wie geplant nach Hamburg, aber in ein anderes
Theater, nämlich in die Neue Flora. Dafür wurde unsere neue
Inszenierung von «Wicked - die Hexen von Oz» um ein halbes Jahr nach
hinten geschoben und feiert jetzt im Frühjahr 2021 Premiere in der
Neuen Flora. Wie geplant löst «Die Eiskönigin» im März 2021 das
Musical «Pretty Woman» im Theater an der Elbe ab, unser Dauerbrenner
«König der Löwen» läuft weiterhin im Theater am Hafen.
Das Musical «Tanz der Vampire» bleibt länger in Stuttgart, «Aladdin
»
läuft dort so gut, dass wir es um ein Jahr verlängert haben, «Mamma
Mia» kommt ein Jahr später noch einmal nach Berlin zurück, und «Ich
war noch niemals in New York» feiert nun eben erst im September
Premiere in Berlin, während die «Blue Man Group» dort nahtlos wieder
anknüpft.
Das klingt jetzt einfach, war aber eine wahnsinnige Logistik, die wir
da losgetreten haben. Alle Lizenzgeber haben mitgemacht, die
Kreativen haben mitgemacht. Das war unsere erste Reaktion: Wir müssen
jetzt sofort überlegen, wie es wieder losgeht. Wir dürfen jetzt nicht
jammern, was uns passiert, sondern wir überlegen, wie wir weiter
machen. Das Wichtigste ist für uns tatsächlich, dass die Kunden
Vertrauen haben und auch wieder Lust haben, ins Theater zu gehen.
Frage: Stage Entertainment hat deutschlandweit knapp 1700
Mitarbeiter. Wie ist dort die Stimmung?
Antwort: Die Mitarbeiter halten sich sehr wacker. Die Darsteller
machen wunderbare kreative Dinge und schicken Videos davon und
versuchen sich fit zu halten. Aber ich hoffe, dass diese Phase nicht
zu lange dauert, weil das irgendwann auch etwas mit den Leuten macht.
Frage: Wie waren die Reaktionen von ihren Kunden?
Antwort: Die meisten Kunden haben viel Verständnis. Viele, die Karten
gekauft hatten, haben das Angebot zur Umbuchung genutzt. Bis jetzt
haben wir aber nur Umbuchungen für Karten bis zum 30. April
gestartet, orientiert an den behördlichen Schließungsvorgaben. Wir
werden sehen, wie sich das weiter entwickelt.
Frage: Was glauben Sie, wie wird sich die Corona-Krise langfristig
auf die Branche auswirken?
Antwort: Das ist eine sehr gute Frage. Erstmal wird sie, fürchte ich,
die Theaterlandschaft verändern. Weil es nicht jeder schaffen wird,
durch diese Krise durchzukommen. Das ist wirklich alarmierend. Die
Vielfalt ist das, was wichtig ist. Und meine große Sorge ist, dass da
nicht alle unbeschadet durchkommen, sondern je nachdem, wie lange das
geht, einige auf der Strecke bleiben. Und dann wird unsere
Gesellschaft ärmer, wenn wir das nicht mehr haben.
Meine zweite Sorge ist, was die Angst mit den Menschen macht. Im
Moment ist die Angst ein alles dominierendes Gefühl, und das ist ein
schlechter Ratgeber. Ich fürchte, dieses Abstandhalten ist auf lange
Sicht schädlich für die Gesellschaft.
Frage: Was glauben Sie, wie werden sich die Menschen nach dieser
Krise verhalten? Wird das Bedürfnis nach Live-Entertainment zu- oder
abnehmen?
Antwort: Ich denke, es gibt beides. Es gibt einen Teil, der sagt: Ich
habe das so vermisst und ich brauche mehr davon. Andere werden etwas
zögerlicher sein. Am Ende, glaube ich, wollen die Menschen die Krise
aber hinter sich lassen. Ich glaube, auf längere Sicht wird es eher
einen Boom geben für Live-Entertainment. Nach dem Motto: Ich habe mir
das wirklich verdient.
ZUR PERSON: Seit September 2013 ist Uschi Neuss Deutschland-Chefin
der Stage Entertainment und verantwortlich für knapp 1700 Mitarbeiter
in neun Theatern in Hamburg, Stuttgart und Berlin. Nach einem Studium
der Geschichte, Germanistik, Anglistik und Theaterwissenschaften in
Köln begann die gebürtige Rheinländerin ihre Karriere 1996 beim
Musical «Les Misérables» in Duisburg, im Jahr 2000 wechselte die
54-Jährige zur Stage Entertainment in Essen, danach in Hamburg.
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