Verstöße gegen Kontaktverbot: Wenn der Nachbar zum Hilfssheriff wird

Behörden in Hessen kontrollieren, ob die Beschränkungen wegen der
Corona-Pandemie eingehalten werden. Dabei bekommen sie Hinweise aus
der Bevölkerung. Dahinter steht nicht immer die Sorge ums
Allgemeinwohl.

Frankfurt/Kassel/Gießen/Darmstadt/Fulda (dpa/lhe) - Hessens Ermittler
erhalten aus der Bevölkerung zahlreiche Hinweise auf mögliche
Verstöße gegen die Beschränkungen des öffentlichen Lebens in der
Corona-Krise. Immer wieder melden Anrufer der Polizei
Menschenansammlungen oder private Treffen, wie eine Umfrage der
Deutschen Presse-Agentur unter Polizeipräsidien zeigt. Allerdings sei
nicht jeder Hinweis berechtigt - und manchmal ist das Motiv eine
offene Rechnung.

«Bei uns gehen täglich Hinweise auf Gruppen in der Öffentlichkeit
ein», sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums NORDHESSEN. Dass die
Leute aufmerksam seien, sei gut. Doch es gebe auch Mitteilungen über
Feiern im privaten Raum, wo der Anrufer offenbar durch
Nachbarschaftsstreitigkeiten motiviert sei. In solchen Fällen seien
die Hinweise auf Verstöße nicht immer gerechtfertigt. «Das sind nicht

herausragend viele, aber es kommt vor.»

«Die Polizei FRANKFURT ist dankbar über Hinweise aus der Bevölkerung

über mögliche Verstöße gegen die bestehenden Verordnungen zur
Bekämpfung des Coronavirus, welche von der Hessischen Landesregierung
zur Eindämmung der Pandemie erlassen wurden», erklärte ein
Polizeisprecher. Wenn so etwas gemeldet werde, prüfe die Polizei das.
In wie weit Bürger die Beobachtungen aus persönlichen Gründen
meldeten oder der gemeldete Sachverhalt nicht Tatsachen entspreche,
könne nicht beurteilt werden. «Es liegen diesbezüglich keine seriös

belastbare Zahl oder Tendenzen vor.» Daher sei es wichtig, dass sich
die Einsatzkräfte selbst ein Bild machten, erst dann komme es zu
einer Anzeige.

Auch beim Polizeipräsidium SÜDHESSEN gehen nach Angaben einer
Sprecherin immer wieder Hinweise ein, die sich mit dem Kontaktverbot
befassen. Von Denunziationen will man aber nicht sprechen. «Wir
nehmen das super ernst und gehen dem auch nach.» Solche Anrufe gibt
es laut dem Polizeipräsidium SÜDOST auch in Offenbach immer wieder.
Dann werde eine Streife geschickt, sehr oft sei aber niemand mehr
anzutreffen. Vereinzelt handele sich sicher auch mal um Anschwärzen.
Meist seien es aber einfach besorgte Bürger, die Gruppen am Main oder
auf Spielplätzen sähen.

«Nicht immer wird bei der Überprüfung vor Ort ein tatsächlicher
Verstoß festgestellt, beispielsweise wenn es sich bei einer
gemeldeten Personengruppe um eine Familie oder Menschen in häuslicher
Gemeinschaft handelt», erklärte ein Sprecher des Polizeipräsidiums
WESTHESSEN. Ob die Anrufer das wider besseren Wissens als Verstöße
meldeten, lasse sich dabei nicht oder nur schwer nachvollziehen.

Mit solchen Anrufen hat es das für MITTELHESSEN zuständige
Polizeipräsidium Gießen zu tun. Denunzianten, die etwa ungeliebte
Nachbarn ungerechtfertigt verpetzten, seien die Ausnahme. Die Beamten
finden es demnach in Ordnung, wenn Besorgte größere
Menschenansammlungen melden - aber: «Dafür nicht die Notrufnummer 110
wählen!», appellierte eine Sprecherin. Stattdessen solle man die
Amtsnummern der Polizeidienststellen anrufen.

Beim Polizeipräsidium OSTHESSEN gehen nach eigenen Angaben vereinzelt
Meldungen von Bürgern ein, die Verstöße gegen die Corona-Verordnungen

mitteilten. «Eine Häufung von Meldungen ohne rechtliche Relevanz kann
im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Osthessen bislang
nicht festgestellt werden», sagte ein Sprecher.

Bürgerrechtler sehen die Entwicklung kritisch: «Gegenseitige
Bespitzelung hat in einem freiheitlichen Land nichts zu suchen»,
sagte Franz-Josef Hanke, zweiter Landesvorsitzender der
Humanistischen Union Hessen. Gleichzeitig behinderten unberechtigte
Hinweise Kapazitäten der Einsatzkräfte, die dringend anderswo
gebraucht würden. Allerdings dürfe man mit den Anrufern auch nicht zu
streng sein. «Wenn jemand aus Sorge und berechtigter Angst die
Polizei ruft, muss das möglich sein.» Hanke appelliert an die
Eigenverantwortung: «Je besonnener der Einzelne reagiert, desto mehr
entlastet er die Verantwortlichen im Staat und in den Behörden, desto
weniger müssen Freiheiten durch den Staat eingeschränkt werden.»

Der Kasseler Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder sieht in der
Situation keine Gefahr für die Demokratie: «Ein Weg in eine
Denunziantengesellschaft, die zu einem autoritären Regierungsstil
passt, ist nicht erkennbar» - auch weil der deutsche Staat bisher
einen Mittelweg finde. Denn die Art des Umgangs innerhalb der
Zivilgesellschaft entspreche dem in der Corona-Krise praktizierten
Regierungsstil, dessen Profil sichtbar werde, wenn man ihn mit dem
anderer Länder vergleiche: «In Schweden haben wir bis jetzt eine
vergleichbar liberale Praxis, in den südeuropäischen, eine
semi-autoritäre Vorgehensweise, in Ungarn einen post-sowjetischen
Stil.» In den Welten der Corona-Regulierung nehme Deutschland dabei
eine mittlere Position ein.

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