Angst vor Corona: Verbraucher decken sich mit Arzneien ein Von Alexander Sturm, dpa

Hamsterkäufe in der Corona-Krise gibt es nicht nur bei
Toilettenpapier, Nudeln und Seife. Auch bei Medikamenten greifen
Verbraucher verstärkt zu. Pharmafirmen berichten von einem riesigen
Andrang.

Frankfurt/Main (dpa) - Viele Verbraucher in Deutschland haben sich
aus Sorge um das Coronavirus mit Arzneien eingedeckt. Im März zog die
Nachfrage nach rezeptfreien Medikamenten stark an und bescherte
Pharmaunternehmen eine Sonderkonjunktur. Das berichteten mehrere
Arzneihersteller auf dpa-Anfrage. Der Ansturm in Apotheken bringt die
Logistik in der Branche teils an ihre Grenzen und befeuert die
Debatte um Lieferengpässe von Arzneien.

«In den letzten Wochen mussten wir über unser gesamtes Portfolio
hinweg die zum Teil dreifache Bestellmenge bewältigen», erklärte etwa

die Ratiopharm-Konzernmutter Teva am Dienstag in Ulm. Die Nachfrage
bei rezeptfreien Arzneien sei im März vor allem bei
Paracetamol-haltigen Mitteln und Vitaminpräparaten viel höher gewesen
als sonst. In Einzelfällen habe es bei der Auslieferung Verzögerungen
gegeben. Teva habe nicht nur in der Produktion die Kapazität erhöht,
auch die Logistik arbeite in drei statt zwei Schichten.

Bayer verzeichnet nach Konzernangaben ebenfalls eine höhere Nachfrage
nach Medikamenten - vor allem nach Nahrungsergänzungsmitteln sowie
Präparaten gegen Erkältungen und Allergien. Man sei «sehr gut in der

Lage», den Andrang zu bedienen, bitte aber Verbraucher, sich beim
Kauf auf übliche Mengen zu beschränken, so das Dax-Unternehmen.

Auch wenn Selbsttherapien mit Schmerzmitteln gegen Corona umstritten
sind und es widersprüchliche Ratschläge gab: Der Ansturm von
Verbrauchern in Apotheken hält seit Wochen an. «Die Nachfrage nach
Arzneien und die Unsicherheit der Menschen ist hoch», berichtete
jüngst der Branchenverband ABDA. Bei Erkältungs- und Schmerzmitteln
gebe es viele Präparate verschiedener Hersteller und daher im Zweifel
eine Alternative. Es gebe keinen Grund, Arzneien zu hamstern.

Auch der hessische Arzneihersteller Stada spürt die starke Nachfrage:
Bei Erkältungsmitteln, darunter Grippostad, war sie im März um 50
Prozent höher, bei Immunpräparaten gar dreimal so hoch wie in
üblichen Monaten. Auch der Branchenriese GlaxoSmithKline, bekannt für
die Schmerzsalbe Voltaren, berichtete in den vergangenen vier Wochen
von einem Ansturm auf Nasensprays, Nasentropfen und Mittel gegen
Halsschmerzen. Beim Absatz gebe es Zuwächse zwischen 30 und 40
Prozent, so der britische Anbieter. Und der französische Hersteller
Sanofi erklärte, Verbraucher in Deutschland hätten sich gerade vor
den Ausgangsbeschränkungen mit rezeptfreien Arzneien eingedeckt.

Der Andrang bringt die Pharmaindustrie teils in Bedrängnis. «Bei
extrem hohen Einzelbestellungen haben wir steuernd eingegriffen, um
eine flächendeckende Versorgung über die Zeit sicherzustellen»,
teilte Teva mit. Und Stada erklärte, man habe die Vorräte aufgestockt
und weltweit mehr als 50 Millionen Euro für zusätzliche Wirkstoffe
und die Herstellung von Fertigprodukten investiert.

Alles auffangen kann die Branche trotzdem nicht: Die Lieferengpässe
bei Arzneien haben sich mit der Corona-Krise verschärft, teilt das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit. Die
Behörde verzeichnet derzeit fast 380 knappe Mittel - im November
waren es noch 290. Allerdings gibt es rund 103 000 zugelassene
Arzneimittel in Deutschland. Da es wegen der Pandemie Hamsterkäufe
gab, hat das BfArM Pharma-Unternehmen sowie den Großhandel
aufgefordert, Arzneien nicht über den normalen Bedarf hinaus etwa an
Apotheken zu liefern. Das solle eine Schieflage im Markt vermeiden.

Mit der Corona-Krise ist auch die Kritik an Arznei-Lieferengpässen
lauter geworden. Die gab es zwar auch schon in den Vorjahren, doch
nun kommen Probleme deutlicher ans Tageslicht. Viele Wirkstoffe für
Arzneien werden aus Kostengründen in China und Indien hergestellt -
etwa für Antibiotika sowie einfache Nachahmermedikamente.

In Fernost konzentriert sich die Produktion auf wenige Firmen. Steht
dort die Herstellung zeitweilig still oder kommt es wegen
Verunreinigungen zu Arznei-Rückrufen, hakt es in der Lieferkette.
Auch die Corona-Krise setzt die Lieferketten unter Druck: Die Preise
von Wirkstoffen und die Logistikkosten seien «weltweit deutlich
angestiegen», so der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH).

In Zeiten der Pandemie werden deshalb die Rufe nach einer stärkeren
Wirkstoff-Produktion in Europa lauter. Doch dann würden im deutschen
Gesundheitssystem höhere Kosten anfallen, gab der Verband der
Chemischen Industrie (VCI) zu bedenken. Denn so billig wie in China
lässt sich in Deutschland nicht produzieren. Wer aber die höheren
Kosten übernehmen soll, ist bislang ungeklärt.