Politiker allein zu Haus - Regieren in Zeiten von Corona Von Petra Kaminsky, Emilio Rappold, Can Merey und Jutta Lauterbach, dpa

Rund um den Globus ist nichts mehr so, wie es vor der Corona-Krise
war. Leere Straßen, geschlossene Geschäfte, Homeoffice. Politiker
sind jetzt besonders gefordert - und gleichzeitig Betroffene.

Berlin/Rom/Washington (dpa) - Ob Berlin, Rom oder Madrid: überall
gelten Ausgangsbeschränkungen, um die Verbreitung des Coronavirus
einzudämmen. Auch viele Politiker sind infiziert oder warten auf
Testergebnisse. Regieren in Zeiten von Homeoffice und sozialer
Distanz - wie geht das? Ein Blick hinter die Kulissen in einer
dpa-Umfrage:

DEUTSCHLAND: In Berlin hat vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel
mit ihrer häuslichen Quarantäne Schlagzeilen gemacht. Sie sei «sehr,

sehr gut beschäftigt», berichtete die CDU-Politikerin jüngst aus dem

Homeoffice. Sie verbringe viel Zeit in Videokonferenzen und
Telefonschalten. «Trotzdem fehlt mir so ein bisschen, dass ich zum
Beispiel bei den Kabinettssitzungen jetzt nicht persönlich dabei sein
kann, dass ich die Leute dann nicht sehe oder dass man eben gar
keinen persönlichen Kontakt jetzt hat.» Inzwischen wurde auch bei
ihrem dritten Test keine Infektion festgestellt. Dennoch will Merkel
auch in den nächsten Tagen die Dienstgeschäfte aus ihrer häuslichen
Quarantäne wahrnehmen.

ITALIEN: In dem besonders stark von der Pandemie betroffenen Land war
Attilio Fontana (68), Regionalpräsident der Lombardei, der erste
Polit-Promi, der sich selbst in häusliche Isolation begab. Und zwar
schon im Februar, wenige Tage nach Bekanntwerden des Ausbruchs in
seiner Region im Norden des Landes. Er hatte eng mit einer
Corona-Infizierten zusammengearbeitet. Ein erster Test bei dem
Politiker der rechten Lega hatte für ihn zwar Entwarnung gegeben. Er
wurde aber zum Vorbild, weil er mehrfach Interviews aus der
Quarantäne mit Mundschutz gab. Später machten es andere Politiker und
Experten ähnlich - ihre TV-Bilder aus dem Homeoffice wurden
stilprägend in Italien.

VATIKAN: Papst Franziskus zog sich im Laufe der Corona-Krise immer
weiter aus der Öffentlichkeit zurück. Anfang März ersetzte der
Vatikan größere Auftritte des 83-Jährigen durch Videobotschaften. Er

lebt hinter den dicken Mauern des Vatikanstaates in der Residenz
Santa Marta. Doch eine richtige Quarantäne ist das nicht. Der
Pontifex empfängt weiter einzelne Besucher zu Audienzen. Auf Fotos
sieht man ihn ohne Mundschutz, und es kursieren Berichte, dass er
Gästen - obwohl er wegen seines Alters zur Hochrisiko-Gruppe gehört -
auch die Hand gebe. Mitte März lief er sogar durch die leergefegten
Straßen Roms und betete in zwei Kirchen für ein Ende der Pandemie.

SPANIEN: In Spanien sind zahlreiche Spitzenpolitiker positiv auf das
Coronavirus getestet worden, darunter mehrere Angehörige des
Kabinetts von Ministerpräsident Pedro Sánchez. Sánchez selbst wurde
von Medien mehrfach kritisiert, weil er energisch zur sozialen
Distanz aufruft, selber aber wenig Vorsicht walten lasse. Er sei
öffentlich noch nie mit Schutzmaske aufgetreten und komme seinen
Mitarbeitern im Regierungssitz Palacio de la Moncloa gefährlich nahe,
versicherten Zeitungen. Dabei ist seine Ehefrau María Begoña Gómez
(45) selber infiziert. Inwieweit der Sozialist dieser Tage Abstand zu
seiner Gattin hält, ist nicht bekannt.

GROSSBRITANNIEN: Der britische Premierminister Boris Johnson musste
sich in häusliche Isolation zurückziehen, nachdem er positiv auf das
Coronavirus getestet worden war. Auch von seiner schwangeren
Verlobten Carrie Symonds muss er sich fernhalten. Er hält sich in
seiner Dienstwohnung in der Downing Street auf. Wie britische Medien
berichteten, werden ihm Mahlzeiten vor die Tür gestellt, auch
Regierungsdokumente werden dort abgelegt. Johnson gibt sich
optimistisch: «Haben Sie keinen Zweifel, ich werde - dank der
Wunderwerke moderner Technologie - mit meinem gesamten Top-Team
kommunizieren, um den Kampf gegen Covid-19 anzuführen», so der
Premier in einer Videobotschaft.

USA: Donald Trump unterzeichnete dieser Tage im Oval Office des
Weißen Hauses das inzwischen dritte Hilfspaket - umringt von 15
Kabinettsmitgliedern, Beratern, Kongressmitgliedern und Senatoren,
die dicht an dicht um den US-Präsidenten herum standen. Die
Richtlinien Trumps zur Eindämmung des Coronavirus sehen vor,
Ansammlungen von mehr als zehn Menschen zu vermeiden. Der
CNN-Journalist Jim Acosta spottete auf Twitter: «Soziale Distanz?
Nicht bei der Unterzeichnung des Konjunkturgesetzes im Oval Office.»

RUSSLAND: Der russische Präsident Wladimir Putin ist im Homeoffice in
seiner Vorstadtresidenz Nowo-Ogarjowo - ohne allerdings von
Quarantäne zu sprechen. Von dort aus macht er die Videoschalten - und
regiert digital. Er hat für diese Woche ganz Russland in einwöchige
Ferien geschickt. Aber viele kritisierten, dass er nicht zeitgleich
Ausgangssperren und Kontaktverbote verhängte. Inzwischen haben die
russische Hauptstadt Moskau und einige andere Regionen aber zumindest
weitgehende Ausgangsbeschränkungen eingeführt.

DÄNEMARK: Wie in Norwegen gelten in Dänemark strikte
Corona-Maßnahmen. Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, die
besonders früh verschärft gegen die Pandemie vorging, macht sich und
anderen Mut: «Jeden Tag versuche ich, den Tag mit ein wenig frischer
Luft für Körper und Geist zu beginnen», schrieb sie jüngst zu einem

Selfie von sich vor einem See auf Facebook. «Ich weiß, wie viel diese
Zeit von Euch verlangt. Danke für Euren großen Einsatz. Wir halten
zusammen - jeder für sich», ergänzte sie.

LETTLAND: Ein Großteil des Kabinetts in Riga befindet sich in
Selbstisolation, darunter Regierungschef Krisjanis Karins. Der gab in
einem Interview einen Einblick in seinen Tagesablauf. «Morgens war
ich sehr glücklich, ich verbrachte fast 40 Minuten draußen im Garten.
Wunderbares Wetter! Mein Gott, wie schön die Sonne schien. Ich
spazierte ein wenig durch den Garten, atmete frische Luft ...»,
erzählte er dem lettischen Privatsender SWH. Trotz «Heimarbeit» zeigt

sich Karins bei Online-Auftritten immer mit Anzug und Krawatte. Auf
die Frage, ob er nicht zumindest unten herum in Jogginghose vor dem
Rechner sitze, antwortete er, da würde er sich unwohl fühlen.

RUMÄNIEN: Ministerpräsident Ludovic Orban war elf Tage lang bis zum
24. März in selbst gewählter Isolation in einer Gäste-Villa der
Regierung. Nur Mitte des Monats verließ er sein Homeoffice, um mit
der neuen Regierung den Amtseid zu leisten. Erstaunlicherweise gab es
davon keine Bilder. Das Präsidialamt erklärte aber detailreich, alle
dort anwesenden Minister, Orban und Staatspräsident Klaus Iohannis
hätten Masken und Handschuhe getragen. Die Kugelschreiber, mit dem
die Minister ihre Amtseide unterschrieben, seien nach einmaligem
Gebrauch weggeworfen worden. Alle Objekte, die sie während des
Amtseides berührten - darunter wohl auch die Bibel, auf die sie die
Hand legen mussten - seien nach jedem Schwur desinfiziert worden.