Sportwetten in Zeiten von Corona: Boom-Branche kämpft ums Überleben Von Tom Bachmann, dpa

Ein wenig Tischtennis in der Ukraine, ein wenig Fußball in Nicaragua
und Weißrussland. Die Corona-Krise macht den Sportwetten-Fans der
Welt gerade mächtig zu schaffen. Doch deutlich schlimmer als die
Tipper trifft es die Anbieter.

Leipzig (dpa) - Crashtest für den Milliardenmarkt: Die eigentlich
boomende Sportwettenbranche steht angesichts der Coronavirus-Pandemie
vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte. «Wir sind ganz
erheblich in Sorge. Das Geschäft ist quasi auf null runter. Nicht nur
in den Wettbüros, die geschlossen bleiben müssen. Sondern auch
online, weil kaum noch irgendwo etwas stattfindet. Es ist ein
globaler Shutdown. Das Umsatzvolumen ist um über 90 Prozent
zurückgegangen», sagt Mathias Dahms, Präsident des Deutschen
Sportwettenverbandes, der Deutschen Presse-Agentur.

Sportwetten waren über Jahre so etwas wie eine rauschende Abfahrt mit
dem Rennrad. Die Hände fest am Lenker, der warme Wind weht um die
Nase, der Radcomputer klettert auf über 80 km/h - und aus dem Nichts
knallt jemand einem einen Stock zwischen die Speichen. Noch ist die
Branche im Sturzflug. Wie hart der Aufprall wird, kann niemand sagen.

Allein im vergangenen Jahr betrugen die Wetteinsätze in Deutschland
knapp 9,3 Milliarden Euro. Innerhalb von wenigen Jahren hatte sich
das Volumen fast verdreifacht. Jetzt geht es mit Schwung nach unten,
nicht nur bei den Umsätzen. Die Aktie von Bet-at-home stand Anfang
März noch bei gut 40 Euro. Am 18. März war der bisherige Tiefpunkt
mit etwa 18 Euro erreicht. Die Papiere der GVC Holdings, der
Muttergesellschaft von Bwin, sackte im selben Zeitraum von gut 9 Euro
auf 3,50 Euro ab.

Die Anbieter behelfen sich, so gut sie können. Einige versuchen,
Kunden in den Casino-Bereich zu locken. Andere nehmen virtuellen
Sport ins Programm. Dazu zählt neben komplett von Computern
simulierten Pferderennen auch der E-Sport. Ein Ersatz für echten
Sport ist das mitnichten. «Das Sportwettgeschäft galt immer als
krisenresistent. Seit Corona gilt dieser Satz leider nicht mehr»,
sagte Interwetten-Vorstandssprecher Dominik Beier der «Bild». «Wenn
im Mai nicht wieder der Ball rollt, werden sich viele überlegen
müssen, wie man weitermachen kann.»

Auch für die Wetter steht die Welt Kopf. Der Brite Ersen Guven lebt
von Sportwetten, setzt auf Wettbörsen mit Livewetten normalerweise
sechs bis sieben Millionen Pfund pro Monat um. Derzeit verzeichnet er
einen Rückgang von 80 Prozent. Und was gerade passiert, ist für Guven
bisweilen schlicht wahnsinnig.

Als Beispiel führt er im dpa-Gespräch die noch laufende weißrussische

Liga an. «Da stecken in den Märkten der Spiele über eine Million
Euro. Das zeigt die Verzweiflung der Wetter. Sie suchen schlicht
etwas, auf das gewettet werden kann», sagt Guven. Er selbst setzt
derzeit auch in Weißrussland, von Freundschaftsspielen lässt der
frühere Psychiater die Finger. «Da gab es zu viele absurde
Resultate.»

Abgesehen von möglichen Spielmanipulationen haben Wettanbieter das
Problem, dass sich die Ausgaben nicht problemlos senken lassen. Die
IT muss unterhalten werden, die Kosten bleiben hoch. Große Sorgen
bereiten Dahms zudem die Wettbüros. Die dürfen aktuell nicht öffnen,

stehen auf der Einnahmenseite bei null. «Große internationale
Anbieter haben vielleicht ein Polster oder werden von den jeweiligen
Regierungen unterstützt», meint Dahms. In Großbritannien wurde die
Aufnahme des Wett-Dachverbands in den 350 Milliarden Pfund schweren
Rettungsfonds gerade abgelehnt.

Hinzu kommt ein Problem, das den Sport selbst noch lange nach Corona
beschäftigen könnte. Denn Wettanbieter sind längst wichtige Sponsoren

und finanzieren die nun lahmgelegte Sport-Show mit. So ziemlich jeder
Fußball-Bundesligist kooperiert mit einem Wettanbieter. In der 3.
Liga ist das Unternehmen Sunmaker gleich bei sieben Clubs
Trikotsponsor. «Sie haben für diese Saison all ihre Verpflichtungen
schon erfüllt», sagte Jens Rauschenbach, Präsident des Halleschen FC,

der «Mitteldeutschen Zeitung».

Was die kommende Saison betrifft, sind derzeit keine validen Aussagen
möglich. «Die Sportwettbranche ist hinter der Automobil-Branche und
der Telekommunikation eine der größten werbetreibenden Branchen. In
diesem Bereich wird es massive Einschnitte geben», sagt
Interwetten-Mann Beier. Zudem schlägt die Verlegung von Fußball-EM
und Olympia massiv ins Kontor. Fakt ist, es muss bald weitergehen.
Zur Not ohne Zuschauer, denn die spielen maximal bei der Berechnung
der Quoten eine Rolle. Gehe es im Mai weiter, so heißt es in der
Branche, komme man vielleicht mit einem blauen Auge davon.