Erst Pflegeheim, dann Klinik: Wolfsburg stemmt sich gegen das Virus Von David Hutzler, dpa

Das Coronavirus trifft Wolfsburg besonders hart: Erst sind in einem
Pflegeheim 17 Menschen gestorben, jetzt zwingt das Virus das Klinikum
Wolfsburg zu einer bundesweit einmaligen Maßnahme.

Wolfsburg (dpa) - Erst sind 17 Menschen in einem Pflegeheim
gestorben, dann ist mehr als ein Dutzend Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter im Klinikum Wolfsburg positiv auf das Coronavirus
getestet worden. In Wolfsburg überschlagen sich die Ereignisse. Im
Klinikum werden vorerst keine Patienten mehr aufgenommen, wie die
Stadt mitteilte. Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft
ist ein solcher Aufnahmestopp in der Corona-Krise deutschlandweit
bisher einmalig.

Dicke Schneeflocken wehen am Montag um das Wolfsburger
Hanns-Lilje-Heim direkt am Waldrand. Gleich mehrfach musste hier in
den vergangenen Tagen der Leichenwagen vorfahren, um an Covid-19
gestorbene Bewohner abzuholen. Zwei davon in den vergangenen 24
Stunden. Niemand weiß, was in dem Heim mit 165 Plätzen noch kommt.

Nach Angaben des Heimbetreibers vom Montag sind 74 Menschen mit dem
Virus infiziert. «Ein größerer Teil der Menschen, die dort verstorben

sind, sind ohne vorher erkennbare Symptome verstorben», erzählt
Oberbürgermeister Klaus Mohrs (SPD). Der immer noch unklare Verlauf
der Krankheit erschwere die Entscheidung darüber, welche Maßnahme die
Richtige sei.

Aber wurde genug getan, um das Virus in dem Heim einzudämmen? Die
Diakonie Wolfsburg als Betreiber sieht sich schweren Vorwürfen
ausgesetzt. Ein Rechtsanwalt hat Anzeige wegen fahrlässiger Tötung
eingereicht und wirft dem Heim «katastrophale hygienische Zustände»
vor, wie die «Wolfsburger Allgemeine Zeitung» berichtete.

Die Diakonie weist die Vorwürfe von sich. Auch die Behörden konnten
bei einer Begehung am Sonntag keine Mängel erkennen, wie
Krisenstabsleiter Lothar Laubert sagt. «Der Betreiber hat alles
Mögliche veranlasst, um die Sicherheit der Bewohner zu
gewährleisten.» Aktuell seien positiv und negativ getestete
Bewohnerinnen und Bewohner strikt voneinander getrennt, der Zutritt
für Besucher verboten.

Die vielen Toten in Wolfsburg zwingen das Land Niedersachsen zu einer
Reaktion: Pflegeheime dürfen keine Bewohner mehr aufnehmen. Ausnahmen
gebe es nur, wenn eine 14-tägige Quarantäne für neue Bewohner
gewährleistet sei, sagte Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD)
am Montag. Sie appellierte an Angehörige, auf Besuche älterer
Menschen zu verzichten. «Bitte besuchen Sie Ihre Lieben nicht. Damit
schützen Sie nicht nur Ihre eigene Mutter oder Ihren eigenen Vater,
sondern alle.»

Nur wenige hundert Meter vom Hanns-Lilje-Heim entfernt, gleich hinter
dem Wäldchen, steht Wolfsburgs zweites Sorgenkind: Das Klinikum. Auch
hier hat sich die Situation dramatisch zugespitzt, nachdem am Samstag
eine Mitarbeiterin von einem Kontakt mit einem möglicherweise
Infizierten berichtete. Bis zum Sonntagnachmittag wurden 14
Beschäftige positiv auf das Virus getestet.

Am Abend und in der Nacht wurden bei allen 250 Patienten und 150
Mitarbeitern Abstriche gemacht - die Testergebnisse werden bis zum
späten Montagabend erwartet. Danach solle entschieden werden, ob
wieder Patienten aufgenommen werden.

Für das Krankenhaus bedeutet das: Arbeiten im Ausnahmezustand.
Getestete Beschäftigte bleiben nicht - wie sonst bisher üblich - zu
Hause, bis das Testergebnis kommt, sondern arbeiten mit Mundschutz
weiter, sagt Klinikchef Matthias Menzel. Mittelfristig sei es
vorstellbar, dass infizierte Ärztinnen und Ärzte zum Dienst kommen,
solange sie keine Symptome haben, und mit infizierten Patienten
arbeiten: «Das sind die Dinge, die wir in Kürze erleben werden.»