Warum selbst die Finanzkrise etwas Gutes hatte Von Jörn Bender und Friederike Marx, dpa

Jede Krise birgt Chancen - sagt man. 2008/2009 kämpften Banken ums
Überleben, ein weltweites Finanznetz drohte zu kollabieren. Danach
wurde viel reformiert und reguliert - zum Glück.

Frankfurt/Main (dpa) - Die Finanzkrise 2008/2009 ist wieder präsent.
Erneut ist die Welt auf die Probe gestellt, auch wenn die Ursachen
dieses Mal ganz andere sind. Schon Mitte Februar sprach der Ökonom
Gabriel Felbermayr, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, von
einem «Lehman-Moment»: Die Entwicklungen zeigten, wie fragil das
System sei, sagte Felbermayr dem «Handelsblatt»: «Ich würde sogar s
o
weit gehen zu sagen, dass das Virus sich als Lehman-Moment erweisen
könnte. Wie bei der Pleite der US-Investmentbank 2008 ist das
Selbstverständliche plötzlich nicht mehr selbstverständlich.»
Immerhin: Vieles, was in den Jahren nach den Schockwellen der
Lehman-Pleite - oft unter Schmerzen und gegen Widerstände - auf den
Weg gebracht wurde, erweist sich aktuell als solides Fundament.

BANKENAUFSICHT: Zentrale Aufsicht = stabilere Banken - nach der
Banken- und Finanzkrise wurde dies zu einem wesentlichen Anliegen von
Europas Politikern. Um keine neue Mammutbehörde aus dem Boden
stampfen zu müssen, wurde die Aufsicht über die führenden Geldhäuse
r
im Euroraum bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angedockt. Am 4.
November 2014 nahm die zentrale Bankenaufsicht («Single Supervisory
Mechanism»/SSM) offiziell die Arbeit auf. Derzeit überwachen die
EZB-Bankenaufseher 117 Institute direkt, die für fast 82 Prozent des
Marktes im Euroraum stehen. Für kleinere Banken, in Deutschland
aktuell etwa 1400, sind in erster Linie nationale Aufseher zuständig.
Hierzulande sind das die Deutsche Bundesbank und die Bundesanstalt
für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Regelmäßig überprüfen
die
Aufseher die Widerstandsfähigkeit von Bankbilanzen in sogenannten
Stresstests, in denen Krisenszenarien simuliert werden.

BANKENABWICKLUNG: Ein zweites großes Ziel der Politik: Keine
Steuermilliarden mehr für marode Banken. Seit 2016 greifen in Europa
gemeinsame Regeln zur Sanierung und - im Notfall - Schließung von
Banken («Single Resolution Mechanism»/SRM). Im Fall der Schieflage
einer Bank werden zunächst Eigentümer und Gläubiger zur Kasse
gebeten. Erst als letztes Mittel sollen Einlagen von Sparern sowie
Gelder aus einem gemeinsamen Abwicklungsfonds herangezogen werden,
den die Banken über die Jahre füllen müssen. Dieser Fonds soll bis
2024 mit geschätzt 55 Milliarden Euro ausgestattet sein.

KAPITALPUFFER: Die nachvollziehbare Rechnung von Aufsehern und
Politik: Wer einen dickeren Puffer an eigenen Mitteln hat, fällt in
einer Krise nicht so schnell um. Banken müssen heute deutlich mehr
Eigenkapital vorhalten als früher - Geld also, über das eine Bank im
Fall von Verlusten verfügen kann.

ESM: Auch für Staaten zogen die Europäer ein Rettungsnetz ein: Den
dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM. Dieser «Europäische
Stabilitätsmechanismus» kann seit Oktober 2012 klammen Euroländern
Finanzhilfen zu geringen Zinsen gewähren - allerdings nur, wenn die
Krisenstaaten im Gegenzug strenge Auflagen wie politische Reformen
erfüllen. Vorläufer des ESM war der Rettungsschirm EFSF, der 2010
unter dem Eindruck der Griechenland-Krise entstand. Derzeit hat der
ESM ein Stammkapital von 704,79 Milliarden Euro, davon 624,25
Milliarden Euro abrufbares Kapital. Der deutsche Finanzierungsanteil
am ESM beträgt 26,94 Prozent.

WHATEVER IT TAKES: Während Europas Politiker um Auswege aus der
Euro-Schuldenkrise rangen, die quasi nahtlos auf die Bankenkrise
folgte, schuf der Chef einer nicht demokratisch gewählten Institution
Fakten. «Die EZB wird alles tun, um den Euro zu retten», versprach
der damalige EZB-Präsident Mario Draghi im Sommer 2012: «Whatever it
takes». Das Machtwort des Italieners stabilisierte die Eurozone in
der bis dato tiefsten Krise ihrer jungen Geschichte. Zudem
erweiterten die Währungshüter in den Krisenjahren ihren
Instrumentenkasten derart, dass zum Beispiel milliardenschwere
Anleihenkaufprogramme inzwischen gut geübte Praxis sind.

KONJUNKTURPAKETE: Auch in der Finanzkrise nahm die Bundesregierung
Milliarden in die Hand, um Jobs zu sichern und den Konjunktureinbruch
abzufedern. Damals wurden zwei Pakete geschnürt. Der Inhalt: mehr
Geld für Kommunen, Gebäudesanierung und Verkehr sowie ein
KfW-Sonderprogramm von 15 Milliarden Euro zur Kreditversorgung
mittelständischer Unternehmen. Das Konjunkturpaket II umfasste unter
anderem KfW-Kredite von 115 Milliarden Euro. Davon entfielen 40
Milliarden Euro auf Kredite und 75 Milliarden Euro auf Bürgschaften.
Der Großteil der Zusagen ging an kleine und mittelgroße Firmen, die
Probleme hatten, an Geld zu kommen. Wie auch in der Finanzkrise
spannt die Bundesregierung einen milliardenschweren Schutzschirm auf
- dieses Mal aber nicht speziell für Banken, sondern für größere
Unternehmen. Sie sollen mit Kapital und Garantien gestärkt werden.
Hinzu kommen weitere Maßnahmen, beispielsweise Kreditprogramme der
staatlichen KfW.

KURZARBEITERGELD: Die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes war bereits
in der Finanzkrise 2008/2009 ein zentrales Instrument, um
Massenentlassungen zu verhindern. Damals konnte es bis zu zwei Jahre
gezahlt werden. Wenn es nichts mehr zu arbeiten gibt, kann eine Firma
Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken - die Bundesagentur für Arbeit
übernimmt 60 Prozent des Lohns, bei Menschen mit Kindern 67 Prozent.
Die Unternehmen bekommen Sozialbeiträge erstattet. Künftig kann
Kurzarbeitergeld fließen, wenn nur zehn Prozent der Beschäftigten vom
Arbeitsausfall betroffen sind - statt wie bisher ein Drittel.

STAATSBETEILIGUNG: Bei der Bankenrettung nach der Finanzkrise 2008
hatte die Bundesregierung auf Instrumente gesetzt, die auch in der
Corona-Krise bei der Rettung von Unternehmen eine Rolle spielen
könnten. Damals verteilte der als Soffin bezeichnete staatliche
Rettungsfonds Garantien und Kapital im Milliardenvolumen an Banken.
So beteiligte sich der Bund unter anderem an der Commerzbank.