«Gigantische Aufgabe»: Corona-Luftbrücke in der schwierigsten Phase Von Michael Fischer, Anne-Sophie Galli und Simon Kremer, dpa

Die meisten wegen der Corona-Krise gestrandeten Urlauber sind nach
Hause zurückgekehrt. Aber die größten Problemfälle stehen bei der
Rückholaktion des Auswärtigen Amts noch bevor.

Berlin (dpa) - Die Odyssee der vierköpfigen Forschergruppe um Raija
Kramer dauert nun schon fast vier Wochen. Am 2. März traf die
Professorin für Afrikanistik an der Universität Hamburg in Kamerun
ein, um in Ngaoundéré im Norden des westafrikanischen Landes den
Einfluss sozialer Netzwerke auf den Sprachgebrauch zu erforschen.
Nach elf Tagen brach sie das Projekt nach den dramatischen
Nachrichten aus Europa über die Ausbreitung der Corona-Pandemie
abrupt ab.

Die Rückreise in die Hauptstadt Jaunde gestaltete sich aber
schwierig. Erst erkrankte ein Student an Typhus, dann brachen in
Ngaoundéré Unruhen mit brennenden Barrikaden und Schusswechseln aus.
Als die vier Forscher schließlich am 18. März in Jaunde eintrafen,
hatte der letzte reguläre Flieger nach Europa Kamerun gerade
verlassen.

Seitdem sind die Grenzen dicht und Raija Kramer sitzt mit zwei
Studenten und einer Doktorandin in dem einzigen Hotel fest, das die
deutsche Botschaft noch für sicher erachtet. Dort wartet sie darauf,
dass die von Bundesaußenminister Heiko Maas vergangene Woche
angekündigte «Luftbrücke» für gestrandete Deutsche auch in Westaf
rika
andockt.

Auf die Straße geht sie nicht mehr, nachdem sie als Europäerin offen
angefeindet wurde. «Uns wurde «Virus, Virus» hinterhergerufen und
gesagt, dass man wegen uns in Kamerun nicht mehr atmen kann», erzählt
Kramer. Solche Beschimpfungen kämen zwar nur von einem Teil der
Kameruner, aber trotzdem: «Es ist tatsächlich bedrohlich», sagt die
42-jährige Kramer, auf die zwei kleine Kinder in Deutschland warten.

Der Fall der Hamburger Forscher ist nur einer von Tausenden. Das
Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amts (AA), in dem sich 50
Mitarbeiter im Schichtdienst 24 Stunden lang um die Operation
«Luftbrücke» kümmern, hat zusammen mit der Lufthansa und
Reiseveranstaltern bereits die Rückkehr von rund 160 000 Deutschen
organisiert. Das ist der größte Teil der über 200 000 Reisenden, di
e
sich in die Rückkehrerlisten des AA eingetragen haben.

Aber bisher wurden vor allem die Hauptferienziele angeflogen, wo man
mit geringem logistischen Aufwand einen Flieger nach dem anderen
füllen konnte: Ägypten, Philippinen, Dominikanische Republik. Aus der
Türkei oder Spanien konnten fast alle Touristen sogar noch vor
Einstellung des regulären Flugverkehrs ausreisen.

Jetzt richtet sich der Blick immer stärker auf unzugänglichere
Weltregionen, in denen versprengt Individualtouristen und Abenteurer
unterwegs sind. «Wir können nicht nur zehn Leute irgendwo abholen,
sondern versuchen regional Gruppen zu bilden», sagt der
Krisenbeauftragte des Auswärtigen Amts, Frank Hartmann, im Interview
der Deutschen Presse-Agentur. Wer etwa auf den Südseeinseln Fidschi
oder Tahiti stecken geblieben ist, muss erstmal nach Neuseeland. Von
dort gehen dann zentrale Flüge nach Deutschland.

Bei der Suche nach Lösungen ist viel Kreativität gefragt - und
europäische Kooperation. «Mein französischer Kollege hat mir zum
Beispiel angeboten, deutsche Touristen aus Haiti und Nepal
mitzunehmen, und uns dafür gebeten, Franzosen aus Australien
auszufliegen», sagt Hartmann. «Das ist wie auf einer Börse, ein Geben

und Nehmen.»

Was den Krisenmanagern aber auch zu schaffen macht, sind die immer
stärkeren Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, so dass viele
Reisende Probleme haben, zum Flughafen zu kommen. Für die 1,3
Milliarden Einwohner Indiens gilt beispielsweise seit dieser Woche
eine strikte Ausgangssperre. Raus darf man nur für Einkäufe oder
andere wichtige Besorgungen. Die Botschaft stellt den Deutschen, die
zum Flughafen wollen, deswegen Passierscheine aus.

Und auch spontane Grenzschließungen können zu Problemen führen. Seit

drei Tagen harren mehr als 100 Reisende, darunter auch mehrere
Deutsche, am Flughafen Dubai aus, nachdem dieser kurzfristig
sämtlichen Passagierverkehr eingestellt hatte und die
Verbindungsflüge der Reisenden nicht mehr zurück nach Deutschland
gingen. In Marokko sitzen immer noch mehr als 300 Wohnmobile fest,
die versucht hatten, über die spanische Exklave Ceuta nach Europa zu
gelangen.

Das aus einzelnen Staaten Deutsche gar nicht mehr herausgelassen
werden, erwartet Hartmann nicht. «Im Grunde sind viele Länder
erleichtert, wenn die Touristen abfliegen. Sie können sie auf Dauer
dort nicht halten, sie wollen ja auch ihre Hotels schließen», sagt
der Krisenbeauftragte.

Auch für das Hamburger Forscherteam gibt es inzwischen Hoffnung. Am
Donnerstagabend bekam Raija Kramer eine E-Mail mit dem Betreff:
«Landsleutebrief mit guten Nachrichten». Darin heißt es: «Nach
intensiven Verhandlungen mit der Regierung Kameruns ist es gelungen,
eine Übereinkunft zur geregelten Ausreise von sich nur vorübergehend
im Lande befindlichen deutschen Staatsangehörigen zu erreichen.» Die
Erlösung ist das zwar noch nicht, die Rückholflüge für
schätzungsweise mehr als 3000 Europäer in Kamerun müssen noch
organisiert werden. Aber eine große Hürde ist damit genommen.

Die Krisenmanager des AA gehen davon aus, dass die ganze Operation
mindestens noch zwei Wochen dauert. «Das ist eine gigantische
Aufgabe», sagt Hartmann. Am Ende der Aktion werde man noch einmal
alle Länder abfragen und gegebenenfalls vereinzelt auch noch weitere
Flieger schicken. «Wir können aber nicht garantieren, dass am Ende
jeder, der irgendwo auf der Welt unterwegs ist, auch abgeholt wird.
Das ist angesichts der Lage in einigen Ländern kaum leistbar, auch
wenn wir uns um jeden Einzelnen bemühen.»