Ein Land in Trümmern: Der Jemen ächzt nach fünf Jahren Krieg Von Johannes Schmitt-Tegge, dpa

Millionen Menschen Hungern, das Wasser ist knapp, die Cholera greift
um sich. Während im Jemen die schlimmste humanitäre Krise weltweit
tobt, scheint ein Ende des Kriegs nicht in Sicht. Und Saudi-Arabien
ist in einem Konflikt gefangen, der sich kaum noch gewinnen lässt.

Sanaa (dpa) - Als die Luftwaffe Saudi-Arabiens im März 2015 erste
Ziele im Jemen bombardierte, hieß es aus Riad vollmundig, der Krieg
im Nachbarland würde voraussichtlich nur einige Wochen dauern. Die
Huthi-Milizen, die das Chaos der arabischen Aufstände ausgenutzt und
den Norden samt der Hauptstadt Sanaa überrannt hatten, sollten
vertrieben werden. Zügig und effektiv wollte das saudisch geführte
Militärbündnis am Boden Fakten schaffen und den Iran zurückdrängen,

der die Huthis mit Waffen und militärischer Ausbildung unterstützt.

Fünf Jahre später liegt der Jemen in Trümmern. Mehr als 80 Prozent
der etwa 30 Millionen Einwohner sind auf Hilfe angewiesen. Während
staatliche Einrichtungen angesichts der Machtkämpfe immer weiter
zerfallen, ist die öffentliche Versorgung zusammengebrochen. Die
Wirtschaft des ohnehin bitterarmen Landes ist am Boden. Bis Ende 2019
kamen nach UN-Schätzungen 233 000 Menschen durch die direkten und
indirekten Ursachen des Krieges ums Leben, also bei Gefechten oder
etwa wegen zu wenig Essen oder mangelnder Gesundheitsversorgung. Das
Wasser ist knapp, Tausende sind an Cholera erkrankt.

Schleichend scheint sich die Weltgemeinschaft an den Kriegsalltag in
dem Küstenstaat am Golf von Aden gewöhnt zu haben - trotz Warnungen
der Vereinten Nationen, dass dort weiterhin die schwerste humanitäre
Krise weltweit herrscht. Gefechte im Norden Syriens, die Waffenruhe
in Libyen, das Leid der Flüchtlinge vor den Toren Europas und zuletzt
die Corona-Krise dürften vom Bürgerkrieg im Jemen zuletzt abgelenkt
haben. Dabei könnte das Virus das Land besonders hart treffen: Nur
die Hälfte aller Krankenhäuser sind dort voll einsatzbereit.

Dem Jemen droht dort erneut ein «tödlicher Showdown», wie die
Experten der International Crisis Group schreiben. Im Norden bahnt
sich ein Kampf um die Provinz Marib an, wo sich Huthis und Kräfte der
jemenitischen Regierung gegenüberstehen. In der Provinz leben 800 000
Menschen, die schon zuvor wegen Gefechten die Flucht ergriffen
hatten. Die Experten warnen vor einem «enormen humanitären Desaster».

Landesweit gehen die UN heute von vier Millionen Vertriebenen aus.

Und es gibt keinerlei Anzeichen, dass der Konflikt auf absehbare Zeit
ein Ende findet. Die Huthis - offiziell bekannt als Ansar Allah, die
«Unterstützer Gottes» - halten den Norden mit eisernem Griff. Ihre
religiöse Ideologie setzten sie in ihrem Zwerg-Staat auf totalitäre
Weise durch, schreibt das Sanaa Center for Strategic Studies in
seinem Jahresbericht: Sie indoktrinieren Staatsdiener, schreiben das
Schulprogramm um, verfolgen religiöse Minderheiten und unabhängige
Journalisten. Sie erheben Steuern, um ihren Krieg zu finanzieren,
schüchtern Unternehmer ein und rekrutieren Kindersoldaten.

Die Koalition zum Kampf gegen die Huthis ist unterdessen zerfasert.
Der ins Exil geflohene Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi sei kaum noch
in der Lage, eigentlich verbündete Gruppen im Land zusammenzuhalten,
urteilte das UN-Expertengremium für den Jemen im Januar. Einige von
ihnen folgten seinen Anweisungen, andere denen Saudi-Arabiens, andere
wiederum denen der Vereinigten Arabischen Emirate. Diese waren mit
den Saudis und weiteren arabischen Staaten in den Jemenkrieg
eingestiegen, kündigten inzwischen aber den Abzug ihrer Truppen an.

Für Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman hat sich der
Konflikt zum kostspieligen Desaster entwickelt, international hat
sein Image schwer gelitten. Eine drohende neue Front - eine Spaltung
von jemenitischer Regierung im Norden und den Separatisten des Landes
im Süden - konnte der Kronprinz dank Vermittlung seines jüngeren
Bruders noch abwenden. Zentrale Punkte einer Einigung in Riad im
November, darunter die komplette Rückkehr der Regierung in die Stadt
Aden im Süden, sind aber bis heute nicht ganz umgesetzt. Das Bündnis
zum Kampf gegen die Huthis steht weiter auf wackligen Beinen.

Zugleich kann der Kronprinz sich kaum aus dem Krieg zurückziehen: Die
Huthis attackieren mit Drohnen und Raketen regelmäßig Ziele auf
saudischem Boden. Vergangenen September wurden zwei Öl-Einrichtungen
getroffen, die fünf Prozent der weltweiten Rohölproduktion ausmachen
(Saudi-Arabien und die USA sehen den Iran hinter der Attacke).
Spätestens mit diesem Angriff, den die Huthis für sich beanspruchten,
hatte der Jemenkrieg auch ein globales Ausmaß erreicht. Er begann mit
dem Vormarsch der Huthis im Spätsommer 2014, eskalierte vollständig
aber erst durch die Luftoffensive Saudi-Arabiens und der Emirate.

Die Vereinten Nationen und der Sonderbeauftragte Martin Griffiths
müssen derweil zusehen, wie die Golfmächte und die Kräfte im Land die

Zukunft des Jemen unter sich aushandeln. Die unter UN-Vermittlung
gefassten Beschlüsse von Stockholm im Dezember 2018 - darunter ein
Abzug aus der Hafenstadt Hudaida und ein Gefangenenaustausch - sind
bis heute nicht vollständig umgesetzt. Anfang März drängte der schier

unermüdliche Griffiths dazu, «militärische Handlungen sofort und
bedingungslos einzufrieren». Er sprach ausgerechnet in Marib im
Norden, wo die Huthi-Kämpfer mittlerweile nach Osten vordringen.

Als seien die Grauen des Krieges vergessen, scheint Saudi-Arabien
sich schon dem friedlichen Wiederaufbau des Landes widmen zu wollen.
Pünktlich zum fünften Jahrestag dem Beginn seiner Luftoffensive
kündigte das Königreich eine Initiative zur «Reinigung, Verschöneru
ng
und Umweltsanierung» der jemenitischen Hafenstadt Aden an. Die
Arbeiter sollen Graffiti beseitigen, Straßenlaternen reparieren und
die Stadt begrünen. Die Kampagne heißt «Beautiful Aden».